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Auf dem Münchner Filmfest hat der BFFS seine Aktuelle Umfrage Vorgestellt und die Ergebnisse sind besorgniserregend . Vier von fünf weiblichen und etwa die hälfte der männlichen Schauspieler*innen haben im Beruf Erfahrungen mit Grenzverletzungen, sexueller Belästigung oder sexualisierter Gewalt gemacht. Um diese Zahlen einzuordnen: Im Durchschnitt aller Branchen sind neun Prozent der Beschäftigten davon betroffen. Und wenn wir uns die Arbeit an den Darstellungen von Intimität, Nacktheit oder sexualisierter Gewalt anschauen, haben über die Hälfte der Schauspielerinnen mindestens einmal Grenzverletzungen erfahren, ebenso über 20 Prozent der Schauspieler.

Um zu verstehen, wie es zu dieser Situation kommt, liefert uns die Umfrage viele Antworten Obwohl Techniken zur Simulation und zur Choreografie von Intimität und Sexualität für die große Mehrheit der Befragten (78,6 %) nicht Teil der Ausbildung waren, wünscht sich der Großteil (73,3 %) solche Techniken als Bestandteil. Bisher werden Schauspieler*innen gezwungen, sich eine eigene Strategie im Umgang mit diesen Szenen zu erarbeiten und greifen oft auf private Erfahrungen zurück. Da die Inszenierung von Intimitätsszenen auch in der Regieausbildung eine Leerstelle ist, behelfen sich Regisseur*innen oftmals, indem sie die Schauspieler*innen bitten, sich untereinander abzusprechen und legen die Last der Inszenierung auf ihre Schultern. Deshalb verwundert es nicht, dass es auch zwischen Schauspieler*innen häufig zu Grenzüberschreitungen kommt. Hier kommen Übergriffe durch Schauspieler wesentlich häufiger vor als durch Schauspielerinnen. 44 Prozent der Schauspielerinnen und sieben Prozent der Schauspieler haben Grenzüberschreitungen durch männliche Kollegen und neun Prozent der Schauspieler und drei Prozent der Schauspielerinnen haben Grenzüberschreitungen durch weibliche Kolleginnen erfahren. Da wo es nicht vorsätzlich und mit böser Absicht passiert, liegt es oft an der unprofessionellen Arbeitsweise bei diesen Szenen und mangelnder Kommunikation. Laut der Umfrage haben zum Beispiel die Hälfte der Schauspielerinnen erlebt, dass ihr Spielpartner ohne vorherige Absprache zu einem Zungenkuss übergangen ist. Und 30 Prozent der Schauspieler haben dies mit einer Spielpartnerin erlebt.

Beschreibungen dieser Szenen in Drehbüchern sind oftmals zu vage
Die Beschreibungen in Drehbüchern oder Theaterstücken von intimen Inhalten und sexualisierter Gewalt wird von zwei Dritteln der weiblichen (77,6 %) und der Hälfte der männlichen Befragten (55,2 %) gelegentlich bis sehr häufig als zu vage beschrieben erlebt. Und da es auch bis zum Drehtag oder den Proben selbst oft viel zu wenig Kommunikation darüber gibt, wissen Schauspieler*innen nicht, was von ihnen erwartet wird. Gleichzeitig stimmen zwei von drei Befragten eher oder ganz der Aussage zu, dass eine Zusage zur Rolle mit einer Zusage zu allen Details der Darstellung von Intimität, Nacktheit und sexualisierter Gewalt gleichgesetzt wird. Und die große Mehrheit aller Befragten gibt an, insbesondere die männlichen Befragten mit fast 90 Prozent, bisher keine schriftlichen Regelungen zu intimen Szenen und Nacktheit gehabt zu haben.

Ein transparenter und respektvoller Umgang ist aber die Voraussetzung
für ein faires und würdevolles Arbeiten.

Haben Sie Angst, als „schwierig“ zu gelten, wenn Sie Details der Darstellung von Intimität, Nacktheit oder sexualiserter Gewalt nicht oder nur zu bestimmten Bedingungen zustimmen würden? (alle Tätigkeitsbereiche, in %, n = 417)

Diese Ergebnisse spiegeln sehr eindrucksvoll, wie mangelnde Kommunikation und das Fehlen von schriftlichen Absprachen den Arbeitsprozess bestimmen und wie wenig Wert auf die Zustimmung von Schauspieler*innen zu den nicht unbedeutenden Details ihrer Arbeit gelegt wird. Ein transparenter und respektvoller Umgang ist aber die Voraussetzung für ein faires und würdevolles Arbeiten.

Für die Arbeit an den Intimitätsdarstellungen fehlt der professionelle Rahmen?
Es verwundert daher nicht, dass auch bei der Arbeit an den Intimitätsdarstellungen selber der professionelle Rahmen fehlt. Die Mehrheit der Schauspieler*innen (71,7 % weiblich und 59,3 % männlich) hat selten oder nie das Gefühl, dass Mitarbeiter*innen für den professionellen Umgang mit Intimitätsszenen oder Szenen mit sexualisierter Gewalt geschult sind. Und nur zehn Prozent der weiblichen und 16 Prozent der männlichen Befragten geben an, dass die Regie im Umgang mit Intimitätsszenen geschult ist.
Im Rahmen meiner Arbeit für die Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt hatte ich oft über das Schweigen zu Machtmissbrauch und Grenzverletzungen gesprochen. Die Antworten der Schauspieler*innen bestätigen nun nochmals ein- dringlich, wie groß die Hürden für Betroffenen sind, dieses Schweigen zu brechen. Jede zweite Schauspielerin und einer von fünf Schauspielern hat Angst, keine Arbeit mehr zu bekommen, falls sie sich zu einem Vorfall äußern würden. Schauspielerinnen (41,2 %) haben viermal häufiger Angst, über Vorfälle zu sprechen als Schauspieler (11,7 %), da es oft keine Zeug*innen gibt. Und fast 70 Prozent der Schauspielerinnen und ein Drittel der Schauspieler (35,2 %) haben Angst, als schwierig zu gelten, wenn sie Details der Darstellung von Intimität, Nacktheit oder sexualisierter Gewalt nicht oder nur zu bestimmten Bedingungen zustimmen würden.

Es gibt nicht nur die eine Lösung, der gesamte Arbeitsprozess muss betrachtet werden
Die Umfrage zeigt sehr deutlich, dass die Probleme bei der Ausbildung anfangen und sich durch den gesamten Produktionsprozess ziehen. Schauspieler*innen sind sich bewusst, dass Darstellungen von Intimität und sexualisierter Gewalt herausfordernd und komplex sind, sie ein hohes Verletzungsrisiko in sich tragen und dass es gleichzeitig an einer professionellen Arbeitsweise fehlt. Der BFFS hat die Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf seine Agenda gesetzt und auf dem Münchner Filmfest angekündigt, die Branche zu einem Runden Tisch einzuladen, um über konkrete Verbesserungen und neue Standards im gesamten Produktionsprozess zu verhandeln. Die Umfrage dient als Basis, um vertragliche Regelungen sowie Standards für die Zusammenarbeit mit Agenturen, die Arbeitsweise bei Castings, am Set und am Theater einzuführen.

Haben Sie Angst, als „schwierig“ zu gelten, wenn Sie Details der Darstellung von Intimität, Nacktheit oder sexualiserter Gewalt nicht oder nur zu bestimmten Bedingungen zustimmen würden? (alle Tätigkeitsbereiche, in %, n = 417)

Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Etablierung von Intimacy Coordinating
Fast neun von zehn Schauspielerinnen und knapp acht von zehn Schauspieler finden den Einsatz von Intimacy Coordinating sinnvoll. International findet dieses neue Gewerk viel Beachtung und hat großen Anteil an der Professionalisierung der Arbeitsweise. Es muss keine erotische Stimmung erzeugt werden, um mitreißende Szenen zu kreieren. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Schauspieler*innen Intimitätsszenen nicht intuitiv und durch Improvisation einfach so drehen können. Gerade hier geht es um eine professionelle Arbeitsweise und um Schutzmaßnahmen. Ähnlich wie bei anderen beruflichen Tätigkeiten, die mit einem hohen Verletzungsrisiko einhergehen. Gut ausgebildete Intimacy Coordinator sorgen für einen desexualisierten Arbeitsprozess und die Sicherheit, dass innerhalb der professionellen Grenzen von Schauspieler*innen gearbeitet wird. Denn erst dann kann sich Kreativität wirklich entfalten. In der Intimacy Coordinator Weiterbildung von culture change hub arbeiteten wir mit den US-amerikanischen Expertinnen Laura Rikard und Chelsea Pace zusammen, die seit 2008 Techniken für die Choreografie von Intimitätsdarstellungen entwickelt haben. Zunächst geht es darum, in der Kooperation mit dem BFFS für die Weiterbildung zu diesem neuen Beruf Standards zu etablieren. Es gibt momentan viel Euphorie bei dem Thema, aber gut gemeint ist ja noch nicht gut gemacht.

Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Schauspieler*innen Intimitätsszenen nicht intuitiv und durch Improvisation einfach so drehen können.

Und einen sehr schönen Nebeneffekt hat das Intimacy Coordinating: Mit dem neuen Ansatz, diese Darstellungen als Choreografie zu verstehen, etablieren wir eine Arbeitsweise, die es zulässt, komplexere Szenen zu kreieren. Mit dem Ergebnis, dass wir ein diverseres Bild von Sexualität sehen werden und die Chance haben, stereotype Darstellungen aufzubrechen. Denn wer findet sich momentan in den Bildern, die von Sexualität gezeigt werden, wieder?

Die vollständige Umfrage des BFFS finden Sie auf der Webseite: https://bit.ly/Umfrage-Intimität

Danke an alle Mitglieder des BFFS, die sich für die Beantwortung der Fragen die Zeit genommen haben. Ihre Antworten helfen, die Arbeitsbedingungen für alle Kolleg*innen zu verbessern.

BARBARA ROHM
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hat ihren Abschluss an der Fachakademie für Fotodesign in München gemacht und Dokumentarfilm-Regie und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Fernsehen und Film studiert. Ihr Einsatz für Pro Quote Film gilt der Stärkung der Rechte von Frauen* und der Bewusstseinsbildung für die mangelnde Diversität in der Medienbranche und den in den Strukturen verankerten Sexismus. Sie hat die Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt mitinitiiert und aufgebaut.