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Der Ruf nach Gleichberechtigung und nach mehr Vielfalt ist in den letzten Jahren in unserer Branche immer lauter geworden. Kein Verband, keine Führungsebene in den Sendern und Unternehmen kann die Augen vor den berechtigten Forderungen der Frauen* weiterhin verschließen. Und nun macht ein Begriff immer mehr die Runde, der das Zeug dazu hat, noch mehr Sand in das Getriebe des eingefahrenen Medienbetriebs zu spülen: Intersektionalität.

Die US-amerikanische Juraprofessorin Kimerbelé Crenshaw hat den Begriff Intersektionalität bereits vor mehr als 30 Jahren eingeführt, um auf einen schwerwiegenden Missstand im Rechtssystem der USA und auf die sich verstärkende Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen hinzuweisen. Klagen von schwarzen Frauen, die keine Chance hatten einen Job unter anderem bei dem Autohersteller Ford zu bekommen, waren abgewiesen worden. Während schwarze Männer für bestimmte Arbeiten eingestellt wurden und auch weiße Frauen als Sekretärinnen dort arbeiten konnten, hatten schwarze Frauen keine Chance auf eine Anstellung. Das Gericht konnte keine Diskriminierung auf Grund von Hautfarbe feststellen, da die schwarzen Männer ja Jobs hatten, und es konnte auch keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes feststellen, da es ja weiße Sekretärinnen gab. Die Rechtsprechung ging sogar soweit zu sagen, dass die Anerkennung von Mehrfachdiskriminierung – auf Grund von Hautfarbe und Geschlecht – zu einer Übervorteilung der Frauen* führen würde.

„Gleichbehandlung wird von den derzeit Priviligierten oft als Benachteiligung wahrgenommen.“

Seither hat der Begriff Intersektionalität verschiedene Interpretationen durchlaufen und wurde immer weiter gefasst. Nicht nur Rassismus, sondern auch die Diskriminierung auf Grund anderer Merkmale wie zum Beispiel Geschlecht, sexuelle Orienierung, Migrationshintergrund, Alter, körperliche Beeinträchtigungen oder die praktizierte Religion führen dazu, dass die Vielfalt der Menschen unseres Landes weder vor noch hinter der Kamera ausreichend präsent ist. Und je mehr dieser Merkmale Menschen auf sich vereinen, umso weniger gilt für sie das Prinzip der Chancengleichheit, die eine der Grundforderungen unserer Demokratie ist.
Unsere Branche, die mit ihren Bildern das Bewusstsein gerade der jungen Generation beeinflusst und damit Realitäten schafft, muss aber den Anspruch haben, unsere Gesellschaft in ihrer ganzen Diversität abzubilden.
Sich mit Intersektionalität zu beschäftigen, bedeutet, sich eigener Privilegien bewusst zu werden. Und es bedeutet vor allem für diejenigen, die Zugang zur Branche gefunden haben und eine Rolle darin einnehmen – egal wie gut gemeint es ist – nicht einfach über Menschen mit ihren vielfältigen Diskriminierungserfahrungen zu sprechen. Viel wichtiger ist es, die vorhandenen Ressourcen zu nutzen und ihnen eine Plattform zu bieten, damit sie selbst, ihre politischen Kämpfe und die Geschichten, die sie zu erzählen haben, sichtbar werden. Das ist eine Haltung, die auf allen Ebenen immer wieder überprüft werden muss: in den Diskursen, die wir in der Branche führen, in den Forderungen, die wir stellen und im künstlerischen Ausdruck.
Auch Pro Quote Film muss wie alle anderen Verbände diese Herausforderung annehmen und stärker eine intersektionale Perspektive bei den Forderungen, die wir stellen, einnehmen. Uns ist es dabei wichtig, dass in der aktuellen Diskussion um mehr Diversität, die Gleichstellung von Frauen* nicht einfach wie so oft „irgendwie mitgedacht wird“. Diskriminierungsformen wirken sich auf die Geschlechter unterschiedlich aus. Die ersten Untersuchungen, die es dazu gibt, zeigen, dass beispielsweise Frauen mit Behinderungen stärker von sexueller Belästigung und Gewalt betroffenen sind. Sie sind im Alltag oftmals auf körperliche Hilfe angewiesen und das begünstigt Grenzüberschreitungen.

„In der Beschäftigung mit Intersektionalität eröffnet sich uns die Chance, Unterschiedlichkeiten als Quelle von Bereicherungen zu sehen.“

Dazu müssen wir aber den Mut haben, unsere eigenen Privilegien anzuschauen, denn Gleichbehandlung wird von den derzeit Privilegierten oft als Benachteiligung wahrgenommen. Und wir brauchen neben vielen anderen konkreten Schritten eine Studie, die sich anschaut, wie divers die Branche momentan ist und welche Potentiale brach liegen.
Nur in der Zusammenarbeit mit anderen Branchenverbänden wie dem BFFS werden wir die Branche sensibilisieren können, um den Blick auf den künstlerischen und kulturellen Reichtum zu öffnen, der momentan durch den Ausschluss der vielen un- gehörten Stimmen verloren geht.

BARBARA ROHM
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hat ihren Abschluss an der Fachakademie für Fotodesign in München gemacht und Dokumentarfilm-Regie und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Fernsehen und Film studiert. Ihr Einsatz für Pro Quote Film gilt der Stärkung der Rechte von Frauen* und der Bewusstseinsbildung für die mangelnde Diversität in der Medienbranche und den in den Strukturen verankerten Sexismus. Sie hat die Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt mitinitiiert und aufgebaut.