Wir alle sind sehr unterschiedliche Individuen und den einen Werdegang und die eine Ausbildung von Schauspieler*innen gibt es einfach nicht. Doch die Erfahrungen aus den vergangenen jahrzehnten in der Synchronbranche sagen, dass es vor allem auch in dieser „Dun kelbranche“ einen bunten Strauß an Ausbildungen, Werdegängen, Talenten, Arbeits- und Einsatzbereichen gibt. Im Rahmen dieser „Frauen-Ausgabe“ habe ich mich deshalb ausführlicher mit den Frauen in der Synchronbranche beschäftigt.
Welche Erfahrungen haben die Kolleginnen gemacht? Welche Bereiche des Schauspiels nennen sie außerdem ihr Zuhause? Haben sie Benachteiligungen erlebt? Welche Rollen liegen ihnen besonders und was macht die Synchronbranche so einzigartig? Dafür wurden einige ausgewählte Kolleginnen interviewt.
Herausgekommen sind sehr vielfältige Erwerbsbiografien, ganz unterschiedliche erste Schritte in der Synchronbranche, eindrückliche, abgefahrene und fast liebevolle Rollenbeschreibungen und auch der (leider) erwartbare Gender-Pay-Gap.
Ilona Brokowski: Wie ist dein Werdegang? Welche Ausbildung hast du und wie bist du beim Synchron gelandet?
Ann Vielhaben: Ich habe zunächst Historische Musikwissenschaften und Phonetik an der Universität Hamburg studiert, bin ausgebildete Theater- und Filmschauspielerin und habe nach einigen Theaterengagements, u. a. an den Hamburger Kammerspielen und den Westfälischen Kammerspielen, einen Kurs bei Joachim Kunzendorf belegt, um das Synchronisieren kennenzulernen. Das hat meine Lust an der auditiven Arbeit so verstärkt, dass ich zunächst bei der Deutschen Synchron ein Praktikum in der Aufnahmeleitung gemacht und dann in den Ateliers hospitiert habe, bis ich mit Ensembleterminen und schnell auch mit größeren Rollen betraut wurde.
Ich habe später eine tontechnische Ausbildung gemacht und im Abendstudium Marketing und Kulturmanagement studiert. Mit einem Partner habe ich Audioguides produziert, z. B. für die Hamburger Kunsthalle oder das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.
Welche Rolle war für dich bisher die spannendste/schönste/herausforderndste und wieso?
Besonders schöne Produktionen waren bisher die Marvel-Serien mit Deborah Ann Woll als Karen Page. Über verschiedene Serien und Filme ist mir diese Schauspielerin ans Herz gewachsen. Leider hatte ich vergangenen Herbst eine schlimme Lungenentzündung und musste zuletzt Aufnahmen für einen Film mit ihr absagen. Ich hoffe sehr, dass ich wieder in Betracht gezogen werde.
Machst du neben dem Synchronschauspiel (dem „Sprechen“) noch etwas anderes und wenn ja, was?
Ich habe seit ein paar Jahren ein eigenes Tonstudio in Westend, in dem ich vor allem Imagefilme, Dokumentationen, Learnings, Hörspiele und Hörbücher produziere.
Gab es einen Grund, wieso du ein eigenes Tonstudio haben wolltest?
Die Entscheidung für ein eigenes Tonstudio in Berlin resultierte aus meiner starken Neugier und Entschlossenheit. Bereits 2016 hatte ich eine Aufnahmemöglichkeit in unserem Haus. Mit Ausbruch der Pandemie erkannte ich die Notwendigkeit, einen Ort zu schaffen, an dem ich unabhängig von Produktionsstopps weiterarbeiten konnte. Ich entschied mich dazu, weiter in mein eigenes Studio zu investieren und Räumlichkeiten anzumieten. Die Möglichkeit, gemeinsam mit meinem Mann, einem Bauingenieur, eine ganze Etage in der Heerstraße anzumieten, war eine ideale Lösung.
Während der Pandemie konnten wir dadurch unsere Kinder optimal betreuen und gleichzeitig unsere beruflichen Projekte vorantreiben. Es ergaben sich sogar gemeinsame Projekte.
Mit meinem Tonstudio habe ich mir neue berufliche Perspektiven eröffnet, direkte Kontakte zu Auftraggebern intensiviert und gehe enge Kooperationen ein. Mein berufliches Feld hat sich nochmal erweitert, was wiederum zu einem potenzierten finanziellen Erfolg führte.
Kurz: Ich bin unternehmerisch flexibel, kann sehr kreativ arbeiten, kann mich spezifischen Kundenwünschen anpassen und meine eigene Marke aufbauen. Alles Aspekte, die für mich in der heutigen Medienlandschaft von unschätzbarem Wert sind.
Trotzdem liebe ich es nach wie vor, auch in den Berliner Synchronstudios zu arbeiten, mit tollen Kolleg*innen zusammenzuarbeiten und mich voll und ganz auf das Sprechen zu konzentrieren.
Welche Dinge hättest du gern zu Beginn deiner Synchronkarriere schon gewusst?
Meine Vernetzung in der Branche ist kontinuierlich gewachsen. Mit vielen Kolleg*innen in allen Synchrongewerken arbeite ich sehr gern zusammen. Ich empfinde allerdings vieles als extrem schnelllebig, sodass ich mich wehmütig an ältere Zeiten und mehr Zeit und Raum für Qualität in der Synchronisation erinnere.
Hast du negative Erfahrungen, Benachteiligungen erlebt, weil du eine Frau bist?
Ich habe zum Glück keine Benachteiligungen erlebt, weil ich eine Frau bin.
Die Synchronbranche ist für dich?
Die Synchronbranche ist für mich ein großer Bestandteil meiner letzten 22 Jahre im Beruf, ein Lernund Experimentierfeld, in dem ich mich sehr gern bewege.
Vielen Dank für deine offenen Worte, liebe Ann.
Dass es durchaus auch über die ersten Jahre hinweg völlig normal ist, vor einem Termin aufgeregt zu sein.
Ilona Brokowski: Wie ist dein Werdegang? Welche Ausbildung hast du und wie bist du beim Synchron gelandet?
Cathlen Gawlich: Von 1988 bis 1992 habe ich an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf “ Schauspiel studiert. Von 1991 bis 2001 folgte ein Engagement am Deutschen Theater Berlin. Ich spielte in meiner letzten Inszenierung (bevor die Kündigung wirkte) des damals noch unbekannten Thomas Ostermeier (heute Künstlerischer Direktor der Schaubühne Berlin) die Rolle Pam in „Fette Männer im Rock“ von Nicky Silver.
Zeitgleich lief Geliebte Aphrodite von Woody Allen im Kino und Mira Sorvino hatte in der Synchronfassung eine sehr besondere Stimme, die mich total in ihren Bann zog, weil die Figur auch dadurch so berührend wurde. So ähnlich habe ich das dann in der Theaterprobe angeboten, weil beide Figuren auch eine ganz ähnliche Biografie hatten. Das kam gut an, blieb dann so und in einer der letzten Vorstellungen saß dann jemand vom Synchron – was ich immer machen wollte, aber nie wusste, wie man da reinkommt.
Welche Rolle war für dich bisher die spannendste/schönste/herausforderndste und wieso?
Ich durfte wirklich mal eine Schauspielerin mit Trisomie synchronisieren. Und das Team hat mich dermaßen unterstützend empfangen und gesagt: „Wenn das Eine kann, dann du!“ Das hat mich sehr motiviert.
Im Anschluss lag Stille im Raum, weil uns gemeinsam eine Gratwanderung gelungen ist, dass die Rolle eben in keiner Weise denunziert oder vorgeführt wurde und eben auch nicht komisch wirkte, sondern ihre komplette Würde behielt und ins Herz traf … Da war ich ganz schön stolz.Machst du neben dem Synchronschauspiel (dem „Sprechen“) noch etwas anderes und wenn ja, was?
Ich spiele Theater, mache Hörbücher und Live-Lesungen, Hörspiele, Radio, Dokumentationen, ich singe und coache neuerdings auch.Welche Dinge hättest du gern zu Beginn deiner Synchronkarriere schon gewusst?
Dass es durchaus auch über die ersten Jahre hinweg völlig normal ist, vor einem Termin aufgeregt zu sein.
Dass mir gleich zu Anfang mal jemand den Ablauf in so einem Studio mit all seinen Knöpfen, Dispos, X-en, Abkürzungen erklärt hätte, bevor ich zum Spielen aufgefordert werde – weil genau das mich viel zu lange überfordert hat.
Dass ein Großteil unseres Jobs auch darin besteht, im Studio mit den verschiedensten Charakteren klarzukommen, Stimmungen z. B. zwischen den Gewerken wie Ton, Regie, Cut richtig einzuordnen und im besten Fall ausblenden zu können, um am Mikro Höchstleistung abzuliefern.Hast du negative Erfahrungen, Benachteiligungen erlebt, weil du eine Frau bist?
Außer dass ich weniger Geld als mein männlicher Kollege für die gleiche Arbeit bekommen habe, nein! Aber auch das ändert sich gerade spürbar.Die Synchronbranche ist für dich?
So bunt wie das Leben allgemein – es ist von allem etwas dabei.Vielen Dank für das interessante Interview, liebe Cathlen.
Ilona Brokowski: Wie ist dein Werdegang? Welche Ausbildung hast du und wie bist du beim Synchron gelandet?
Dela Dabulamanzi: Von 2006 bis 2009 war ich auf der Reduta Schauspielschule und hatte parallel mein erstes Engagement am Grips Theater. Zum Ende des Studiums machte ich mit Label Noir – früher ein Schwarzes Künstler*innen Kollektiv und mittlerweile ein Produktionsnetzwerk – meine ersten empowern- den Erfahrungen, aus einer BpoC Perspektive künst- lerische Projekte zu entwickeln und zu produzieren. Alles unter weiblicher Führung by the way.
Es folgten Engagements u. a. an der Komödie am Ku’damm, Schauspiel Frankfurt, Berliner Ensemble, als auch tolle Film- und Fernsehformate wie u. a. Druck, Die ???, Das Letzte Wort, Almania oder pünktlich zum Weltfrauentag Sexuell verfügbar mit der großartigen Laura Tonke. Und wie kam ich jetzt zum Synchron? Christoph Cierpka verdanke ich meine ersten Schritte in dieser Branche. Ich erinnere mich, wie ich eines Samstagmorgens in der Süddeutschen über den Film Precious – Das Leben ist kostbar las und der Film gleich auf meine Watchlist kam. Ungelogen eine Woche später erhielt ich den Anruf, dass es dafür ein Synchroncasting für die Hauptrolle Precious, von Gabourey Sidibe gespielt, gäbe. Ich hatte null Erwartungen, da ich ja noch nie Synchron gesprochen hatte und mir demnach nichts davon erhoffte. Tja, und jetzt haben wir 2024 und ich mache es immer noch.
Welche Rolle war für dich bisher die spannendste/schönste/herausforderndste und wieso?
Das ist echt schwierig, aber ich würde jetzt mal drei hervorheben wollen. Uzo Aduba aka Crazy Eyes aus Orange is The New Black, weil die Figur sehr komplex in ihrer Denkart und Ausdruck ist. Rhythmisch war sie halt eine „crazy“ Herausforderung und als Spielerin habe ich sehr viel von ihr gelernt – eine reine Inspirationsquelle. Außerdem I may destroy you von und mit Michaela Coel als Arabella Essiedu. Die Thematik der Serie und ihr Zugriff auf die Rolle war sehr berührend, direkt und intensiv. Und zuletzt Taraji P. Henson als Shug Avery in Die Farbe Lila – aus Ehrfurcht dem Film gegenüber und es mein Rollenfach zum Mondänen erweitert hat. Und das allerschönste war, dass mein Sohn mit Die Farbe Lila seinen ersten Synchronjob hatte und zwar auch bei Christoph Cierpka. Das lasse ich jetzt mal so stehen.Machst du neben dem Synchronschauspiel (das „Sprechen“) noch etwas anderes und wenn ja, was?
Ich habe drei Standbeine, und zwar Film, Theater und Synchron und bin sehr dankbar auch davon leben zu können. Dazu schreibe ich an Projekten, mache kleinere Regiearbeiten und als Co-Regisseurin an einem Langfilm beteiligt zu sein, fand ich schonmal sehr sexy. Also mal schauen, was noch so alles passieren wird.
Hast du negative Erfahrungen, Benachteiligungen erlebt, weil du eine Frau bist?Wovon die meisten ein Lied singen können, ist hier der PayGap. Frauen verdienen ganz klar weniger als Männer. Auch hier wird aber derzeit an mehr Transparenz gearbeitet.
Anzügliche Sprüche oder diskriminierende Erfahrungen haben sicherlich die meisten Frauen im Studio erfahren. Zum Glück gibt es dafür die The- mis als vertrauensvolle Anlaufstelle, um sich Rat und Beistand zu holen.Die Synchronbranche ist für dich?
Eine Branche, die sehr eigen ist, genauso wie die Film-, als auch Theaterlandschaft. Die Arbeitsatmosphäre steht und fällt mit der Personenkonstellation. Synchron ist und bleibt ein wahnsinniges Privileg und man lernt so viel über die deutsche Sprachkultur. Es ist reine Sezierarbeit und diese Arbeit kann nur von Menschen und niemals von der KI übernommen werden. Je mehr man auch hier in die Entschleunigung geht, desto mehr kann die Arbeit aller Beteiligten glänzen und das Ergebnis hört man sich dann auch sehr gerne und lustvoll an.Vielen Dank für deine offenen Worte, liebe Dela.
Es war und ist immer noch eine große Befriedigung für mich als Schauspielerin, so viele und so unterschiedliche Rollen spielen zu können.
Ilona Brokowski: Wie ist dein Werdegang? Welche Ausbildung hast du und wie bist du beim Synchron gelandet?
Denise Gorzelanny: Nach Abitur, Schauspielstudium an der Max-Reinhardt-Schule Berlin und ei- nem Zweitstudium im Gesang, hatte ich zunächst verschiedene Bühnen- und Fernseh-Engagements und habe als Studiosängerin u. a. für Marianne Rosenberg, Vicky Leandros und Roland Kaiser gearbeitet. Ich habe in eigenen Bands gesungen, Songs geschrieben und bin erst 1993 über den Gesang in die Synchronbranche eingestiegen.Welche Rolle war für dich bisher die spannendste/schönste/herausforderndste und wieso?
Mich beglücken im Synchron besonders skurrile Frauenrollen, nichts ist für mich furchtbarer als „normal“! Die Welt besteht nun einmal aus den abgefahrensten Menschen und diese zu durchdringen, hat eine kolossale therapeutische Heilkraft. Meine persönlichen Synchron-Highlights seit der Coronazeit: Mrs. O`Riordan, frustrierte Kolonialwarenbesitzerin in The Banshees of Inisherin,Hélène Vincent, um mehr Menschlichkeit kämpfende Mutter in Alles außer gewöhnlich (beides Kino) und Joan Hambling, humorvoll um ihre Emanzipation bemühte Lehrkraft in Die Professorin.
Machst du neben dem Synchronschauspiel (dem „Sprechen“) noch etwas anderes und wenn ja, was?
Ich betreibe einen privaten, Künstler*innen fördernden Premierensalon – luchs10 – und singe und arrangiere in der Rockband FINE DAZE. Außerdem gebe ich literarisch-musikalische Lesungen, schreibe Kurztexte und Gedichte und singe für Synchronschauspieler*innen, die nicht selber singen – Stichwort „Gesangsmatchen”. Und ich bin Hobbygärtnerin, Hobbysportlerin und ein absoluter Familienmensch, pflege meine Mutter und betreue meine Enkel.Welche Dinge hättest du gern zu Beginn deiner Synchronkarriere schon gewusst?
Hätte ich gewusst, mit welcher Hingabe, wie viel Freude und Spaß mir Synchronschauspielen machen kann, sofern man die „richtigen“ Rollen bedienen darf, hätte ich damit nicht erst so spät begonnen, aber Bühne und Film waren mir früher wichtiger.
Dass bei meinem späten Synchroneinstieg tatsächlich Frauenrollen ab 45 Jahren im Vergleich zu Männern noch viel weniger und die „Festrollen“ dafür längst vergeben waren, war anfangs erschwerend, um beruflich Fuß zu fassen! Und man braucht viele Unterstützer*innen und „Vitamin B“: Kontakte zu Aufnahmeleiter*innen, Disponent*innen, Kolleg*innen, Regisseur*innen, Berufsverbänden. Ohne geht gar nichts!
Hast du negative Erfahrungen, Benachteiligungen erlebt, weil du eine Frau bist?
So würde ich das nicht formulieren, aber wenn man als Frau nicht mehr im sexuell interessanten Alter anfängt, hat man es sowieso schwerer als männliche Kollegen. Männer kamen tatsächlich auch ohne Schauspieloder Fachausbildung zu einer Synchronkarriere durch männliche „Seilschaften“, die es so unter Frauen nicht gab. Die Aufmerksamkeit für einen selbst und das Potential war nicht vorhanden. Mit „falschen“ Rollen ist aber der Ruf, ehe er überhaupt entstehen kann, schnell ruiniert.
Wenn man nur kleine Rollen bekommt, lernt man keine großen zu sprechen. Regisseur*innen lernen einen nicht richtig kennen. Aufnahmeleiter*innen haben einen nach Aussehen, Alter und für sie Gewohntem besetzt. Niemand hatte und hat Zeit und Interesse an den tatsächlichen Fähigkeiten. Dann wird man nicht zu Castings eingeladen. Ein Teufelskreis!
Das Thema faire Synchrongagen wurde und wird dadurch erschwert, dass es an Transparenz mangelte und die bestehende Konkurrenz das Offenlegen zusätzlich erschwerte. Das war mühsam. Gut, dass es jetzt Berufsverbände gibt, die helfen, Änderungen zu ermöglichen!Vielen Dank für deine Offenheit, liebe Denise.
ILONA BROKOWSKI
ist in Berlin geboren, ist Diplom-Psychologin und arbeitet seit 27 Jahren als Synchron- schauspielerin. Seit einigen Jahren ist sie außerdem als Dialogbuchautorin und Synchronregisseurin tätig. Sie hat 2006 die Redaktion der UNSYNCBAR mitgegründet und nach Verschmelzung von IVS und BFFS wurde sie Teil der Redaktion des SCHAUSPIEGELS. Ihr Hauptaugenmerk lag und liegt darauf, die Kommunikation in der Branche
zu verbessern. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.