Im Mai 2023 konnte ein erstes Try-Out des Mentorings von drei Monaten mit dem Buhnenmutter e.V. umgesetzt werden, zu dem sich achtundzwanzig Personen angemeldet haben, aus denen dann mittels eines Fragebogens vierzehn Tandem-Paare gebildet wurden. Innerhalb dieser drei Monate haben sich die Teilnehmenden dreimal getroffen, virtuell oder persönlich. Das Programm wurde sehr gut angenommen und ist im November 2023 in eine erste offizielle Runde von sechs Monaten mit achtunddreißig Teilnehmenden gestartet. Es ist eine nächste Runde im Jahr 2024 geplant, zu der sich alle, die Interesse haben, anmelden können, als Mentee oder Mentor*in.
Das Mentoring-Programm richtet sich an Bühnenschaffende, die einen Kinderwunsch haben, schwanger oder Mütter* sind und einen Raum suchen, in dem ihre Erfahrungen als Künstler*in und Care-Arbeiter*in Platz und Ausdruck finden.
Im Austausch auf Augenhöhe ist ein machtfreier Dialog möglich, indem neue Begrifflichkeiten zur Care-Thematik entstehen können.
Der Austausch von Erfahrungen soll sowohl Mentee als auch Mentor*in gleichermaßen empowern und durch diese gezielte Vernetzung der Vereinzelung entgegenwirken. Dabei bietet das Programm einen geschützten Rahmen, in dem ein freier Dialog über die Problematik der Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Kunst auf Augenhöhe entstehen kann. Es besteht ein großer Wissenspool aus eigenen Erfahrungen und Alltagswissen, wenn es um die Lösung von Problemen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Dieses Wissen wird durch das Mentoring-Programm im persönlichen Austausch zugänglich gemacht, multipliziert und kann sich dadurch verbreiten.
Für viele Künstler*innen ändern sich die Rahmenbedingungen in ihrem Berufsalltag, wenn sie sich um einen weiteren Menschen kümmern müssen. Es entstehen neue Bedürfnisse, unvorhersehbare Herausforderungen, finanzielle Unsicherheiten, krankheitsbedingte Ausfälle. Gleichzeitig können auch unentdeckte Kräfte mobilisiert werden oder sich der Drang entwickeln, neue Arbeitsfelder zu erschließen. Der herausfordernde Alltag zwischen Care-Arbeit und Künstler*in sein, lässt häufig keinen Platz für Reflexion oder die Auseinandersetzung mit individuellen Fragestellungen zu dem eigenen beruflichen Werdegang. Das Mentoring-Programm schafft einen Raum, um sich in einer Phase des Umbruchs oder der Neuorientierung mutigen Entscheidungen zuzuwenden und eigene Bedürfnisse zu erkennen. Durch diese Reflexion und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Werdegang können die, in der Care-Arbeit erlernten Fähigkeiten als Kompetenzen, begriffen werden und nicht als Ausschlusskriterium aus dem Kunstbetrieb. Dies kann zu einer selbstbewussten Positionierung in diesem Betrieb als Künstler*in und Sorge tragende Person führen.
Um zu lernen, sich über die Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Kunstproduktion zu artikulieren, braucht es eine Praktik des miteinander Sprechens. Im Austausch auf Augenhöhe ist ein machtfreier Dialog möglich, indem neue Begrifflichkeiten zur Care-Thematik entstehen können – abseits bestehender Bezeichnungen, in denen Rollenverteilungen und Identitäten oft fest eingeschrieben scheinen. Dieser aktiven Begegnung und dem neu Verhandeln eigener wie kollektiver Rollenbilder zugunsten inklusiver Perspektiven möchte das Mentoring-Programm Raum geben. Um so individuellen Erfahrungen Ausdruck zu verleihen und dadurch das Denken und letztlich die gemeinsame Wirklichkeit neu zu verhandeln.
„I enter my life the way words entered me – by falling through silence of this wide open mouth.“.
IOcean Vuong, Night Sky with Exit Wounds