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Am 01. Juni 2022, sechzehn Jahre nach seiner Gründung, konnte der Bundesverband Schauspiel (BFFS) endlich auch im Bühnenbereich die Rolle übernehmen, die er seinen zahlreichen im Bühnenbereich tätigen Mitgliedern schuldig ist. Seit diesem Tag sitzt unsere Schauspielgewerkschaft zusammen mit der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) und der Vereinigung deutscher Opern- und Tanzensembles (VdO) am Verhandlungstisch.

Unsere drei Künstler*innen-Gewerkschaften ringen mit dem Deutschen Bühnenverein um eine zeitgemäße Reform des Normalvertrag (NV) Bühne und damit um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für ca. 17.000 künstlerische Mitarbeiter*innen (davon ca. 2.300 Schauspieler*innen) an den ca. 140 öffentlich getragenen Theatern. Unsere drei Künstler*innen-Gewerkschaften ringen mit dem Deutschen Bühnenverein um eine zeitgemäße Reform des Normalvertrag (NV) Bühne und damit um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für ca. 17.000 künstlerische Mitarbeiter*innen (davon ca. 2.300 Schauspieler*innen) an den ca. 140 öffentlich getragenen Theatern.

Zu seiner Anfangszeit fand der BFFS im Film-Fern- seh- und Synchronbereich eine tarifliche Wüste vor. Er musste zunächst darum kämpfen, dort kollektivrechtliche Oasen neu anzupflanzen, mit verbindlichen Mindeststandards für Schauspieler*innen – z. B. den Schauspieltarifvertrag mit einer Einstiegsgage. Im Bühnenbereich ist der BFFS mit einem Tarifvertrag konfrontiert, an dem sich schon viele Generationen abgearbeitet haben und dessen Ursprünge bis ins Jahr 1924 zurückreichen. Dieser Tarifvertrag heißt „Normalvertrag (NV) Bühne“, kurz „NV Bühne“ und ist schon aufgrund seines Alters alles andere als normal.

Dieser Tarifvertrag heißt „Normalvertrag (NV) Bühne“, kurz „NV Bühne“ und ist schon aufgrund seines Alters alles andere als normal.
Die Tarifarbeit am NV Bühne ist also die Königsdisziplin.

Für wen gilt der NV Bühne?
Der NV Bühne konzentriert sich auf das künstlerische Personal an den deutschen öffentlich getragenen Stadt-, Landes- und Staatstheatern bzw. Opernbühnen. Davon ausgenommen sind die Orchestermitglieder, für die der „Tarifvertrag für die Musiker*innen in Konzert- und Theaterorchestern“ zuständig ist (kurz „TVK“). Das nicht-künstlerische technische oder administrative Personal fällt zumeist unter einen der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Entweder dem mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände („TVöD VKA“), oder dem mit den Bundesländern („TV-L“).

Für die zahlreichen Privattheater ist der NV Bühne nur sehr eingeschränkt verbindlich, auch wenn einige von ihnen im Deutschen Bühnenverein organisiert sind. Trotzdem, der NV Bühne bietet den Privattheatern eine gewisse Orientierung und selbst die Freie Theaterszene leitet von ihm ihre Honorar-Untergrenzen-Empfehlung ab. Die Tarifarbeit am NV Bühne ist also die Königsdisziplin.

Der NV Bühne hat einen Allgemeinen Teil, der grundsätzliche Regelungen für das ganze künstlerische Personal (abgesehen von den Orchestermitgliedern) beinhaltet. Er wird auch als der „Manteltarifvertrag“ des NV Bühne bezeichnet. Im zweiten Teil befinden sich Sonderregelungen für die vier Gruppen, in die das künstlerische Personal tarifvertraglich unterteilt wird:

Die erste Gruppe „Solo“ umfasst alle Solo-Künstler*innen, zu denen auch wir Schauspieler*innen gehören. Eine Untergruppe dieser Beschäftigten bilden jene Solo-Künstler*innen, die (nur) auf Basis von Gastverträgen engagiert werden. Für sie gilt der NV Bühne eigentlich nicht, oder genauer gesagt, nur ein kleiner Ausschnitt von ihm. Zur zweiten Gruppe „Bühnentechniker“ gehören die Mitarbeiter*innen, die in den Bereichen Bühnentechnik, Werkstätten, Beleuchtung, Maske, Kostümwesen, Requisite und Tonabteilung eher leitende Funktionen haben und damit einen höheren Anteil künstlerischer Aufga- ben zu erfüllen haben als andere ihrer Kolleg*innen in den Bereichen. Die dritte Gruppe „Chor“ sind alle Chorsänger*innen und die vierte Gruppe „Tanz“ besteht aus den Tanzensemblemitgliedern.

Die Schwäche des NV Bühne
Tarifverträge haben den Sinn, verbindliche Mindeststandards im Arbeitsleben der Beschäftigten zu setzen. Sie haben als Einzelne beim Aushandeln ihrer Arbeitsverträge in der Regel eine viel schwächere Verhandlungsmacht als ihre Arbeitgeber*innen und sind auf die von ihren Gewerkschaften durchgesetzten Mindeststandards angewiesen, um wirtschaftlich und sozial nicht unter die Räder eines ungezügelt freien Marktes zu geraten. Wer all die genannten Tarifverträge, TVöD VKA, TV-L, TVK und NV Bühne, die an deutschen Bühnen ihre Wirkung entfalten, nebeneinander legt, wird schnell feststellen, dass der letztere, also der uns betreffende NV Bühne, den geringsten wirtschaftlichen und sozialen Schutz bietet. Das künstlerische Personal bildet die Basis der Künstler*innen-Gewerkschaften, hat aber mit Verweis auf die Kunstfreiheit der Theater keine unbefristeten Anstellungen und muss ständig fürchten, wegen gerichtlich nicht zu überprüfender künstlerischer Gründe nicht verlängert zu werden, sprich, seine Existenzgrundlage zu verlieren. Kein Wunder, dass die Künstler*innen-Gewerkschaften in der Vergangenheit eher vorsichtig agierten, die öffentlichen Träger der Bühnen oft dominierten und im Ergebnis der NV Bühne weitaus mehr die Kunstfreiheit der Theater schützt als das Arbeitsleben der beschäftigten Bühnenkünstler*innen – was seine eigentliche Aufgabe sein sollte und noch einmal Anlass gibt, den Normalvertrag Bühne als alles andere als normal zu charakterisieren.

Diese Schieflage muss sich ändern. Der BFFS ist angetreten, und ist sich mit GDBA und VdO darin einig, den Normalvertrag (NV) Bühne, Schritt für Schritt wieder „normaler“ zu machen – zugunsten des künstlerischen Personals. Wo besteht der dringlichste Reformbedarf?

Die Gagen-Baustelle
Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts (das war meine Anfängerzeit) entsprach die damalige Gagenuntergrenze der „Anfängergage“ noch ca. 70 Prozent des monatlichen Durchschnittsverdienstes der Beschäftigten in Westdeutschland. Dabei ist zu berücksichtigen, dass damals Solo-Künstler*innen nach ihrer zweijährigen Anfangszeit einen Fachvertrag mit deutlich höherer Gage bekamen. Im Jahr 1991 wurde die „Anfängergage“ durch die „Mindestgage“ abgelöst, die zwar weiterhin auf Anfänger*innen zugeschnitten blieb, aber nun auch die untere Messlatte bildete für alle anderen mit mehr Berufserfahrung. Ihre Gagen-Verhandlungsposition wurde somit erheblich geschwächt.

Außerdem hielt die Mindestgage mit der allgemeinen Einkommensentwicklung nicht mehr Schritt. Während im Laufe der Jahrzehnte schrumpfende Ensembles immer mehr Stücke stemmen mussten, sank ihre Mindestgagen auf ca. 48 Prozent des deutschen Durchschnittsverdienstes. Spätestens im Jahre 2022 wurde offenkundig – das war das Jahr, als der BFFS zu den Tarifverhandlungen dazustieß –, dass die Mindestgage des NV Bühne in Höhe von 2.000 Euro inzwischen sogar den gesetzlichen Mindestlohn unterlief und völlig unhaltbar war. Ganz klar: Die Gagen-Baustelle musste als Erstes in Angriff genommen werden.

Tarifverträge haben den Sinn, verbindliche Mindest- standards im Arbeitsleben der Beschäftigten zu setzen.

Und tatsächlich, seinen ersten tariflichen Erfolg konnte das neue Dreierbündnisses von BFFS, GDBA und VdO am 21. Juni 2022 bei der Mindestgage der Solo-Künstler*innen und Bühnentechniker*innen erzielen:

Sie stieg ab 01. September 2022 von 2.000 Euro auf 2.550 Euro, zum 01. Januar 2023 auf 2.715 Euro und zum 01.09.2023 wird sie für alle, die ihre zwei Anfangsjahre an NV-Bühne-Theatern bereits hinter sich haben, auf 2.915 Euro angehoben. Die Mindestgage macht also in einem Jahr einen Sprung nach oben, der mit 915 Euro die gesamte Steigerung von 772,90 Euro in den 31 Jahren zuvor übertrifft. Für den 01. September 2023 wird zudem eine „Einstiegsgage“ eingeführt, die auf der Höhe der bisherigen Mindestgage von 2.715 Euro liegen wird und ausschließlich als Gagenuntergrenze für die ersten beiden Berufsjahre der Bühnenkünstler*innen gilt. Und damit künftig die Schere zwischen der Mindestgage bzw. der Einstiegsgage und der Entwicklung der übrigen Beschäftigten nicht wieder auseinanderdriftet, wurde tariflich die Dynamisierung der Mindestgage durchgesetzt. Das heißt, die Tariferhöhungen im Öffentlichen Dienst sollen sinngemäß nicht nur auf die individuell ausgehandelten Gagen, sondern auch auf die Mindestgage bzw. die Einstiegsgage übertragen werden.

In diesem Sinne haben die drei Künstler*innen-Gewerkschaften in Tarifverhandlungen mit dem Deut-schen Bühnenverein am 22. April 2023 einen weiteren Gagen-Fortschritt durchgesetzt. Er gilt für alle öffentlich getragenen Bühnen, die auf den TVöD VKA Bezug nehmen. Das sind immerhin 51 Prozent der NV-Bühne-Häuser.

Dort werden am 01. März 2024 wie im öffentlichen Dienst der Kommunen auch die Mindest- und Einstiegsgage der Solo-Künstler*innen und Bühnentechniker*innen erhöht. Und zwar um einen Sockelbetrag von 35 Euro und dann um 5,5 Prozent. Die Einstiegsgage erreicht damit (gerundet) die Höhe von 2.900 Euro und die Mindestgage (gerundet) die Höhe von 3.110 Euro. Indirekt profitieren davon auch alle Solo-Künstler*innen, die in dem Bereich auf Stückvertrag engagiert werden. Zahn Prozent der monatlichen Einstiegsgage ist die Mindestgage je Vorstellung für gastierende Solo-Künstler*innen. Ihre Vorstellungsmindestgage steigt also dann von 271,50 Euro auf 290 Euro.

Gleichzeitig steigen auch alle individuell ausgehandelten Gagen oberhalb der Mindest- bzw. Einstiegsgage. Diejenigen, die für die kommende Spielzeit 2023 / 2024 (also zwischen dem 01. August 2023 und 29. Februar 2023) neu eingestellt werden und die zum 01. März 2024 ihr drittes Berufsjahr an NV-Bühne-Häusern noch nicht voll- endet haben, erhalten eine Erhöhung von 35 Euro und anschließend um 5,5 Prozent. Die Gagen aller anderen Künstler*innen werden um einen Sockelbetrag in Höhe von 200 Euro aufgestockt und anschließend um weitere 5,5 Prozent erhöht. Dabei wird bei denjenigen, die bis dahin ihr zweites Berufsjahr an NV-Bühne-Häusern noch nicht vollendet haben und deren Gagen durch die am 01. Januar 2023 gestiegene Mindestgage bereits auf 2.715 Euro angehoben wurden, auf ihre jeweiligen Gagen vor dieser Anhebung Bezug genommen.

Der BFFS ist angetreten, und ist sich mit GDBA und VdO darin einig, den Normalvertrag (NV) Bühne, Schritt für
Mit vereinten Kräften von BFFS, GDBA und VdO wurde der weitere Verfall der Gagen gestoppt und die notwendige Trendwende erreicht.

Schritt wieder „normaler“ zu machen – zugunsten des künstlerischen Personals.

Wie im öffentlichen Dienst der Kommunen wurde zugunsten der NV-Bühne-Beschäftigten an Bühnen mit TVöD-Bezug für die Jahre 2023 und 2024 auch ein entsprechender Inflationsausgleich beschlossen.

Kurzum: Mit vereinten Kräften von BFFS, GDBA und VdO wurde der weitere Verfall der Gagen gestoppt und die notwendige Trendwende erreicht – auch wenn an dieser Baustelle sicher noch viel gebuddelt werden muss.

Die Arbeitszeit-Baustelle
Neben Lohntarifen gehören die Regelungen über Dauer und Lage der Arbeitszeiten zum Klassiker eines normalen Tarifvertrags. Aber, wie gesagt, der NV Bühne ist nicht normal. Er kennt bislang keine Eingrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit und stellt nur lapidar fest: „Die Arbeitszeit ergibt sich aus der Dauer der Proben und der Aufführungen oder der Ausübung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit.“ Der NV Bühne setzt auch keine planbaren Korridore, in denen das künstlerische Personal sich private Termine vornehmen könnte. Denn einen nicht kalkulierbaren „Anspruch auf einen freien Tag wöchentlich und einen halben freien Tag je Woche“ zu haben, hilft niemandem weiter. In der Praxis steht das künstlerische Personal den Bühnen rund um die Uhr zur Verfügung und muss vor allem zu Endprobenzeiten unbeschränkte Belastungen auf sich nehmen. Das Ziel der Gewerkschaften ist: spürbare Entlastung und mehr Planbarkeit bei den Arbeitszeiten.

Der Deutsche Bühnenverein steht vor zwei Herausforderungen. Erstens hat das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2022 entschieden, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2019 auch von den deutschen Arbeitgeber*innen zu beachten ist und sie verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem sie die geleistete Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen können. Zweitens müssen Theater wie alle anderen Arbeitgeber*innen nach dem Teilzeitbefristungsgesetz ihren Beschäftigten die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit eröffnen. Teilzeitarbeit ist, wie der Name schon sagt, ein verkürzter Teil der regelmäßigen Wochenarbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten. Wenn die Theater keine tariflichen Maßstäbe für Vollzeit haben, wie sollen sie dann diese erfassen oder einen Teil davon bemessen? Darum schien auch der Deutsche Bühnenverein an der Einführung von tariflichen Arbeitszeitregelungen in den NV Bühne interessiert zu sein.

Die Tarifverhandlungen dazu wurden am 10. Oktober 2022 aufgenommen, schleppten sich über etliche Run- den und sind schließlich am 27. Juni 2023 gescheitert.

Im Zentrum dieser Verhandlungen stand ein „Rahmenmodell“. Die Rahmen sollten in der Regel maximal vier Stunden dauern, im Schnitt zehnmal die Woche verplant werden können und alle Arbeitseinsätze von Solo-Künstler*innen wie Vorstellungen, Proben etc. umfassen. Ein elfter Rahmen war für die häusliche Vorbereitung vorgesehen. Neben diesen Regel-Rahmen waren – mit Rücksicht z. B. für längere Vorstellungen – erweiterte Rahmen, die über vier Stunden hätten dauern dürfen, im Gespräch. Diese Erweiterung eines Rahmens sollte eine entsprechende Verkürzung eines benachbarten Rahmens zur Folge haben. Es gab noch weitere angedachte Stellschrauben zur Anpassung dieses

Das Ziel der Gewerkschaften ist: spürbare Entlastung und mehr Planbarkeit bei den Arbeitszeiten.
Die Gewerkschaften werden nun mit anderen Mitteln versuchen, neuen Schwung in diese Debatte zu brungen.

Modells an die Flexibilitätserfordernisse der Theaterwelt, noch weitere Vorstellungen der Gewerk schaften, um mehr Entlastung und Planbarkeit bei den Arbeitszeiten zu gewährleisten. Wie mit der Arbeitszeit des anderen künstlerischen Personals, insbesondere der Bühnentechniker*innen hätte verfahren werden sollen, stand noch aus.

Doch im Laufe der Verhandlungen wurde die Unschlüssigkeit des Deutsche Bühnenvereins immer deutlicher. Einerseits sah er die Notwendigkeit zu Veränderungen, andererseits traute er sich nicht, den Status Quo anzutasten. Er bemängelte, das von ihm mitentwickelte Rahmenmodell würde an manchen Stellen in der Praxis nicht funktionieren. Er konnte aber trotz mehrmaliger Aufforderung der Gewerkschaften seine Behauptung nicht konkretisieren. Damit wurde das Gespräch unmöglich und war das Scheitern der Arbeitszeitverhandlungen unvermeidlich.

Die Gewerkschaften werden nun mit anderen Mitteln versuchen, neuen Schwung in diese Debatte zu bringen.

Die Gäste-Baustelle
Die tarifliche Stellung der gastierenden Solo-Künstler*innen im NV Bühne zu verbessern, ist ein großes Anliegen der Gewerkschaften, vor allem unseres BFFS, in dem die meisten Schauspieler*innen, die nur für einzelne Theaterstücke, Drehoder Synchronproduktionen mehr oder weniger kurz befristet engagiert werden, organisiert sein dürften. Ohne auf die Details des NV Bühne einzugehen, ist offensichtlich: Die gastierenden Solo-Künstler*innen sitzen beim NV Bühne am tariflichen Katzentisch. Zwar gelten für sie seit 2017 wie oben beschrieben Mindestgagen je Vorstellung, aber von den meisten anderen schützenden Bestimmungen des NV Bühne werden gastierende Solo-Künstler*innen ausgeschlossen.

Dabei sind es gerade sie, die – von wenigen Stars einmal abgesehen – am dringendsten schutzbedürftig sind. Das hat nicht zuletzt die Corona-Krise wieder gezeigt. Viele Theater, die trotz Corona-Krise aufgrund der öffentlichen Subventionierung keine Not leiden mussten, ließen die gastierenden Künstler*innen schmählich im Stich. Der BFFS hatte damals alle Hände voll zu tun, wenigstens einen Teil der ihnen rechtmäßig zustehenden Gagen, die ihnennzunächst von den Theatern wegen der ausgefallenen Vorstellungen mit fadenscheinigen Begründungen vorenthalten wurden, zu retten.

Die Verhandlungen zur tariflichen Besserstellung der gastierenden Künstler*innen haben zwar noch nicht begonnen. Aber die bereits erfolgte strikte  Ablehnung des Deutschen Bühnenvereins, auch diesem Personenkreis einen Inflationsausgleich zukommen zu lassen, wirft schon einen Schatten voraus. Wir werden sehen.

Die Nichtverlängerungs-Baustelle
Mit Verweis auf die Kunstfreiheit der Theater und die Abwechslungsbedürfnisse des Publikums wird die Anstellungsbefristung der Ensemblemitglieder auf einzelne Spielzeiten gerechtfertigt. Die Verträge der Bühnenkünstler*innen verlängern sich automatisch für weitere Spielzeiten – wenn nicht eine Seite, zumeist die Intendant*innen-Seite gegenüber dem Ensemblemitglied, eine „Nichtverlängerungsmitteilung“ ausspricht. Dann schreibt der NV Bühne zwar eine Anhörung vor, in der dem Ensemblemitglied die Gründe seiner Nichtverlängerung dargelegt werden müssen und dieses Mitglied sich dagegen verteidigen kann. Aber da künstlerische Gründe, die gerichtlich nicht überprüfbar sind, für eine Nichtverlängerung ausreichen, fällt es der Intendanz nicht schwer, jede und jeden loszuwerden – aus welchen wahren Motiven heraus auch immer.

Ja, künstlerische Prozesse sind nicht demokratisch, aber sie brauchen Auseinandersetzung, brauchen Streit – auf Augenhöhe. Das gegenwärtige Nichtverlängerungsrecht erstickt das alles und fördert Duckmäuser- und Kriechertum.

Nein, nicht jede Intendantin, nicht jeder Intendant geht unredlich mit dieser Nichtverlängerungswaffe um, viele haben tatsächlich aufrichtige künstlerische Gründe, bestimmte Wechsel im künstlerischen Ensemble vorzunehmen. Aber nicht erst die jüngsten Beispiele – siehe Regensburg, siehe Leipzig, siehe Memmingen usw. – zeigen, dass das gegenwärtige Nichtverlängerungsrecht völlig aus dem Ruder gelaufen ist und so nicht mehr in unsere Zeit passt. Hier wird die hehre Kunstfreiheit missbraucht. Statt sie als Schutz vor Feinden der Kunst und Kultur zu verwenden, wird sie gegen Künstler*innen instrumentalisiert, damit so manche Theaterleitung ihre Eitelkeiten, Vetternwirtschaft, Macht- und Dumpinggelüste ungestört ausleben kann. Ja, künstlerische Prozesse sind nicht demokratisch, aber sie brauchen Auseinandersetzung, brauchen Stret – auf Augenhöhe. Das gegenwärtige Nichtverlängerungsrecht erstickt das alles und fördert Duckmäuser- und Kriechertum. Dem Deutschen Bühnenverein kann diese Entwicklung nicht gefallen. Der BFFS möchte mit ihm und den anderen Gewerkschaften das Nichtverlängerungsrecht des NV Bühne völlig neu überdenken.

Wir müssen noch lange standhaft bleiben

Mit ihrer engen Zusammenarbeit sind die drei Künstler*innen-Gewerkschaften GDBA, VdO und BFFS auf dem richtigen Weg. Das zeigen die ersten Erfolge auf der Gagen-Baustelle, sie machen uns Künstler*innen, uns Schauspieler*innen Hoffnung, dass auch Lösungen für die anderen Baustellen gefunden werden. Wir sollten unsere Chance ergreifen und die drei Gewerkschaften aktiv unterstützen, uns in ihnen engagieren. Denn wir stehen noch am Anpict1fang und müssen noch lange standhaft bleiben.

HEINRICH SCHAFMEISTER
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1957 im Ruhrgebiet geboren, wusste, was er nicht werden wollte: Jurist (wie sein Vater), Lehrer, Friseur, Schauspieler, Vereinsmitglied. Er liebte Mathe und Musik. Doch es kam anders: Die Musik führte ihn zum Schauspielberuf. So ging er ans Theater, vor die Kamera, vors Mikrofon und schließlich in den BFFS – von Anfang an im Vorstand als Schatzmeister und zuständig für Sozialpolitik wie für Tarifverhandlungen. Er würde eine Rolle als Friseur jetzt nicht mehr ausschließen.