
Medien als Zerrbild der Lebensrealität von Frauen: Ab dem Alter von 40 Jahren ver- schwinden Frauen vom Bildschirm und der Leinwand. Sie spielen im Film nur 32 % der Rollen bzw. 34 % im Fernsehen. Ab 50 Jahren sind es im Film 20 % bzw. 24 % im Fernsehen.* Dies steht in einem krassen Widerspruch zur realen Welt. Wenn Frauen die 40 erreichen, gewinnen sie an persönlicher und beruflicher Macht. Aber im Film und auf dem Bildschirm schrumpft ihre Sicht- barkeit. Hinzukommt, dass die meisten Medien veraltete Vorstellungen über Geschlecht und Alter normalisieren, indem sie bei Frauen ihre Schönheit und Jugend und bei Männern ihre Leistung hervorheben. Das wollen wir ändern!
(*Quelle: Prof. Dr. Elizabeth Prommer, Dr. Christine Linke, Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland, 2017, Rostock)
Impulse für die Stoffentwicklung
Wir wünschen uns von Drehbuchautor*innen Geschichten, die unsere weibliche Lebensrealität in all ihren Facetten widerspiegelt. Und die komplexe und realistische Frauenfiguren ab 40 Plus sichtbar machen. Müssen Frauen ab einem gewissen Alter überwiegend als überforderte Mütter, eiskalte Geschäftsfrauen, Omas oder betrogene Ehefrauen erzählt werden?
Wir möchten historische Geschichten aus der weiblichen Perspektive erzählt bekommen!
Wir wollen Schauspielerinnen 40 Plus in Actionrollen sehen!
Wir möchten Liebesgeschichten sehen, in denen das Paar älter als 50 Jahre ist!
Wir möchten Liebesgeschichten sehen, in denen das weibliche Love-Interest nicht jünger als der Mann ist – es geht auch umgekehrt!
Wir wünschen uns von Drehbuchautor*innen Geschichten, die unsere weibliche Lebensrealität in all ihren Facetten widerspiegelt.
Weibliche Figuren müssen nicht mindestens 15 Jahre jünger sein als ihre Partner oder männlichen Kollegen – z. B. in Krimis.
Wird die Attraktivität einer weiblichen Figur über äußere Merkmale erzählt oder über ihre Charaktereigenschaften?
Haben weibliche Figuren einen Namen, einen Beruf, eine innere Haltung und Werte, welche sie vermitteln wollen? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?
Treiben die weiblichen Figuren die Handlung voran? Wie ist das Verhältnis von Frauen und Männern in den Hauptrollen? Ist ein Überhang von männlichen Hauptrollen durch die Geschichte motiviert? Kommen in den Nebenrollen im Drehbuch genauso viele Männer wie Frauen vor und wie divers sind sie? Müssen alle als Männerrollen konzipierte Figuren zwingend Männer sein?
Bekommt der Stoff vielleicht einen neuen und spannenden Twist, wenn diese Rollen weiblich geschrieben werden?
Ist der Dialoganteil der weiblichen und männlichen Figuren angemessen verteilt bzw. ausgeglichen? Drehbücher sollten nicht umgeschrieben werden, weil die weibliche Figur älter als 30 Jahre ist!
Wie divers werden Frauen erzählt bezogen auf Alter, Herkunft, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung, sozioökonomischer Hintergrund?
Mehr Drehbücher von Autorinnen schreiben lassen und von Frauen produzieren und inszenieren lassen! Geschichten schreiben lassen, in der die älteren Fi- guren für das jüngere Publikum attraktiv vermittelt werden.
Impulse für die Besetzung
Können männlich angelegte Rollen auch von Schauspielerinnen gespielt werden?
Schauspielerinnen sollten nicht dem normierten Schönheitsideal entsprechen, um als attraktiv zu gelten.
Entspricht das Alter der Schauspielerinnen dem Alter der Figuren?
Wie vielfältig ist das physische Erscheinungsbild der besetzten Schauspielerinnen?
Wie divers ist der Cast bezogen auf Gender, Alter, Herkunft und Ethnie?
Schauspielerinnen, die schon länger nicht mehr engagiert wurden, sollten ebenfalls im Besetzungsprozess eine Chance bekommen!
Vorschläge für Redaktionen, Jurymitglieder und Drehbuchautor*innen:
Mit Schulungen den stereotypen Darstellungen von Frauen entgegenwirken
Wissen über Stereotype sind das wirksamste Mittel, um gängige Klischees zu durchbrechen und Frauen in all ihrer Vielfalt darzustellen. Denn vor allem ältere Frauen werden auf die immer gleichen Rollen reduziert. Meist bleibt nur das Stereotyp der „komischen Alten“ oder das der „lieben Oma“. Aber auch die Vielfalt der Themen, die Frauen beschäftigen und ihre Lebensrealität werden nicht abgebildet:
– Frauen 40 Plus sind meist die taffe und gefühlskalte Geschäftsfrau oder die mütterliche Hausfrau. Es fehlen Geschichten, in denen sich ihre beruflichen Herausforderungen spiegeln.
– Frauen 40 Plus sind keine asexuellen Wesen. Es fehlen Filme und Serien, in denen ältere Frauen ein aktives Sexleben haben.
– Themen, die den weiblichen Körper betreffen, wie Menstruation oder Wechseljahre sollten kein Tabu mehr sein.
– Sexismus und sexualisierte Belästigung und Gewalt gehören zur Lebensrealität von Frauen und sie betreffen alle Altersgruppen. Obwohl in 34 Prozent der Filme und Serien im deutschen Fernsehen Darstellungen teils expliziter und schwerer Gewalt gegen Frauen und Kinder vorkommen, wird nur in den wenigsten Fällen aus der Perspektive von Betroffenen und Opfern erzählt und nur selten gibt es einen sensiblen Umgang mit der komplexen Thematik*. D.h. Gewaltdarstellungen dürfen nicht zum Zweck der Sensationsgier eingesetzt werden und sollten auch die strukturelle Dimension adressieren. Auch die Perspektiven und die Lebensweisheiten von älteren Frauen dürfen nicht fehlen.
(* Quelle: Linke & Kasdorf, Geschlechtsspezifische Gewalt im Deutschen TV, November 2021)
Sensitivity Reading
Nach Vorbild aus der Literatur können Sensitivity Reader Drehbücher lesen und Autor*innen und Redakteur*innen auf eindimensionale und diskriminierende Narrative über ältere Frauen aufmerksam machen und kreative Vorschläge einbringen.
Unser Vorschlag: Redaktionen wetteifern darum, wer die Realität in Deutschland am ehesten abbildet: 30 % der Menschen in Deutschland sind Frauen 40 Plus.
30% Challenge für immer mehr Frauen 40 plus
Vorbild ist das BBC 50:50 PROJECT, das mehr Expertinnen auf dem Bildschirm sichtbar macht. Mittlerweile nehmen 750 Teams der BBC und 150 Organisationen aus der ganzen Welt teil.
Unser Vorschlag: Redaktionen wetteifern darum, wer die Realität in Deutschland am ehesten abbildet: 30 % der Menschen in Deutschland sind Frauen 40 Plus.
Faktencheck: Mit 11,5 Millionen bzw. 14 % sind Frau- en zwischen 40 bis 59 Jahren die mengenmäßig größte Bevölkerungsgruppe. Knapp 10 Millionen Frauen in Deutschland sind zwischen 60 und 79 Jahren – sie machen 12 % der Bevölkerung aus. Und 4,5 % der Bevölkerung sind der Frauen im Alter von 80 Plus. (Quelle: de.statista.com)
Auslobung von Drehbuchwettbewerben
Mit Drehbuchwettbewerben können Redaktionen eine Willkommenskultur für Geschichten schaffen, die ältere Frauen in den Mittelpunkt stellen.
Redaktion: Simone Wagner, Vorstand Bundesverband Schauspiel e.V. (BFFS) und Barbara Rohm, culture change hub. 2023
Vorschläge aus dem Think Tank von WIFT Germany „Mehr Schauspielerinnen ab 50 in Kino, Streaming und Fernsehen“, der in Kooperation mit dem Bundesverband Schauspiel e.V. (BFFS) und der Götz George Stiftung auf den Hofer Filmtagen 2021 stattfand, sind in dieses Papier eingeflossen.

Simone Wagner
ist Mama, Schauspielerin, im Vorstand des BFFS und Familienmanagerin.
Sie lebt mit Mann und Maus im frisch renovierten Einfamilienhaus mit Garten am bayerischen Untermain. Leni geht in die Wolkengruppe, möchte unbedingt ein Pferd im Garten namens Jenny und wünscht sich nichts mehr, als mal eine echte Sternschnuppe zu sehen.