FAROUK EL-KHALILI: Welche Risiken sehen Sie in der Nutzung von KI in der kreativen Arbeit und welche Chancen eröffnen sich durch die Nutzung beim Schreiben von Drehbüchern?
JOCHEN GREVE: Diese ganze Diskussion über KI rollt wie ein Tsunami auf uns zu. Das ist im Moment fast wie eine Explosion. Deswegen glaube ich, ist es ganz gut, wenn man am Anfang mal versucht, das auseinander zu sortieren oder abzuschichten, um sich die verschiedenen Seiten, Aspekte und Folgen der KI bewusst zu machen.
Die einfachste und naheliegendste Abschichtung ist, dass man zwischen Input und Output unterscheidet.
Der Input ist das, was die Programmierer oder der Computer aus dem Internet und allen vorhandenen Datenbanken weltweit einlesen. Seit der letzten Urheberrechtsreform ist dieses Aufsaugen des Wissens leider kostenfrei für die Firmen, die hinter den KI-Programmen stehen. Die eigentlichen Urheber*innen und Kreativen, deren Wissen und Arbeit nun die Grundlage aller KI ist, bekommen nichts dafür. Das ist nicht in Ordnung!
Auf jeden Fall wird die KI sicher in Teilen unsere Branche und tatsächlich den ganzen kreativen Raum tangieren, manchmal umwälzen oder zumindest sehr stark beeinflussen.
Das muss der erste Schritt sein, bei dem ich denke, dass wir alle aktiv werden müssen. Dass wir an die Politiker*innen herantreten und ihnen massiv klarmachen müssen, dass die Industrie für diese Wissensbeschaffung – oder im Fachjargon: das Text- und Data-Mining – natürlich Abgaben zahlen muss, die an diese Urheber*innen und Kreativen zurück- fließen müssen. Weltweit.
Im europäischen Raum existieren ja verschiedene Verwertungsgesellschaften der Kreativen und Urheber*innen, wozu auch die GEMA gehört, die das irgendwie handeln können. Voraussetzung ist natürlich, dass die Politik dieses Problem erkennt, einen rechtlichen Rahmen schafft und eine Pflicht für Tarife oder Lizenzabgaben einführt. Auf der Seite des Outputs der KI ist die Frontstellung dagegen nicht so eindeutig. Da muss man meines Erachtens in einem ersten Schritt zwischen A und B, zwischen kriminellen und nicht-kriminellen Dingen unterscheiden. Kriminelle Dinge kann man leider nie vermeiden. Zum Beispiel diese ganzen Fake-News-Geschichten oder dass Emma Thompsons Stimme „Mein Kampf ” als KI vorliest. Das sind alles illegale Anwendungen, die bereits nach jetzigem Recht nicht erlaubt sind.
Aber wie sieht das auf der legalen Seite aus? Auf jeden Fall wird die KI sicher in Teilen unsere Branche und tatsächlich den ganzen kreativen Raum tangieren, manchmal umwälzen oder zumindest sehr stark beeinflussen. Im Film- und Fernsehsektor sind Chat GPT oder ähnliche Programme noch nicht weit genug entwickelt, um im Moment eine wirkliche Konkurrenz für die Kreativen, ich meine, die Schauspieler*innen, Autor*innen, Regisseur*innen, Kameraleute usw., zu sein.
Wenn man in andere Bereiche unserer Branche schaut, sieht das aber bereits jetzt schon anders aus. Zum Beispiel beim Synchron oder in der Untertitelung. Da werden Übersetzungen bereits von der KI erstellt, die dann nur noch von Lektor*innen korrigiert und überarbeitet werden. Das ist ein großes Problem für deren Berufsstände.
Ich glaube, dass auch unser großes Problem, mal abgesehen von der Bezahlung, die Zeit sein wird. Das klingt vielleicht ein bisschen schräg, aber die KI kann deutlich schneller und mehr leisten als das jede*r Autor*in, jede*r Kreative, jede*r Schauspieler*in könnte.
Und sicher wird die KI auch in der Drehbucharbeit mehr oder minder einen großen Raum einnehmen. Bereits jetzt ist vorstellbar, dass das Exposé oder der Pitch noch menschengemacht sind und die KI das weiter optimiert, Tonalitäten verändert und Varianten schafft. So wird zum Teil von Kolleg*innen bereits jetzt schon gearbeitet.
Aber je kreativer, künstlerischer und damit nachhaltiger die Leistung ist, die wir erbringen, umso schwieriger wird es meines Erachtens für die KI werden, uns zu ersetzen. Am Ende brauchen alle Sender, Streamer und vor allem das Publikum gute Ideen, neue Ideen, der Zukunft zugewandte Ideen. Im Drehbuchsektor oder bei der Musik gibt es zum Beispiel genaue Erzähl- oder Kompositionsmuster, die jedem Film oder jeder Musik zugrunde liegen. Doch in bestimmten Momenten kommt etwas hinzu, das sich nicht aus diesen Mustern oder dem Erlernten herleiten lässt, sondern originär aus dem*der einzelnen Künstler*in kommt – und das nenne ich Kreativität. Das nachzuvollziehen wird für die KI schwierig werden. Und genau daraus ziehe ich meinen Optimismus.
Wie geht die VG Wort mit der Thematik um?
Die VG Wort und alle anderen Verwertungsgesellschaften stehen im Augenblick vor dem Problem, dass die KI scheinbar kreative, urheberrechtliche Leistungen herstellen kann. Und dass eine kreative urheberrechtliche Leistung dazu führt, dass Verwertungsgesellschaften Gelder an die betreffenden Urheber*innen ausschütten müssen.
Die KI braucht einen Rechtsrahmen, der nicht nur wenige Großkonzerne begünstigt, sondern einen fairen Interessenausgleich zwischen allen Beteiligten ermöglicht.
Laut deutschem und EU Recht ist aber eine urheberrechtliche Leistung immer an einen Menschen geknüpft. Wenn eine KI nun also eine schöne Geschichte oder einen Film erfindet – und dieses Produkt sogar ausgestrahlt oder gedruckt würde, wäre das urheberrechtlich nicht geschützt. Jede*r dürfte die Geschichte kopieren oder weiterverbreiten, unentgeltlich. Das Problem der Verwertungsgesellschaften und insbesondere natürlich der VG Wort ist es nun herauszufinden: Ist das jetzt eine menschliche oder ist es nur eine maschinelle Leistung?
Bei der KI ist das extrem schwer feststellbar. Es gibt entsprechende Programme zum Filtern von KI-Leistungen, aber die haben im Augenblick nur eine Trefferquote von vielleicht 20 Prozent. Das ist für eine Verwertungsgesellschaft im Moment also noch völlig unbrauchbar. Deshalb wird jetzt in einem ersten Schritt erstmal ganz formaljuristisch vorgegangen: Das heißt, jede*r Autor*in muss in Zukunft erklären, dass der Text, den er*sie meldet, nicht KI-maschinell, sondern von ihm*ihr persönlich erstellt wurde. Würde man dann später feststellen, dass er*sie gelogen hat, könnte man das Geld zurückfordern und ihn*sie verklagen.
Das ist natürlich nur ein erster Schritt. Und es bleibt ein großes Problem, wie man in Zukunft eine KI-maschinell erstellte urheberrechtliche Leistung erkennen kann. Darauf gibt es bisher keine taugliche Antwort.
Welche Rechte haben wir als Kreative gegenüber der Nutzung von KI?
Eine von der KI erstellte Leistung ist, wie gesagt, rechtefrei. Darauf kann man kein Recht anmelden und kann auch im Prinzip keine Zweitverwertungsentlohnung bekommen. Demnach kann man nicht an Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften teilnehmen.
Das ändert sich aber, wenn man diesen KI-Text bearbeitet, umschreibt und so weiter. Dann generiert man ein Bearbeitungsurheberrecht, und damit ist der Text urheberrechtlich geschützt. Ich denke, das wird in der Zukunft die Regel sein, zum Beispiel, indem man Varianten oder Teile seines Textes durch die KI optimieren lässt. Das wäre in der Regel urheberrechtlich geschützt.
Bei rein KI-generierten Bildern und Tönen ist es ähnlich. Auch da gibt es keinen Schutz und kein Urheberrecht. Schwieriger wird es beim Schutz der Kreativen vor KI-generierten Kopien. Also zum Beispiel bei Nachdichtungen im Stil eine*r bestimmten Autor*in, bei Kopien von Schauspieler*innen oder ihren Stimmen. Generell hat jeder erstmal das Recht an seinem eigenen Aussehen und seiner Stimme. Das darf nicht einfach gestohlen und für andere Zwecke benutzt werden. Dagegen kann man auch nach dem heutigen Recht vorgehen.
Aber durch die KI wird das alles einfacher, schneller und besser, wodurch die rechtlichen Graubereiche immer größer werden. Was wird in Zukunft noch als erlaubte Satire durchgehen? Oder was ist eine noch erlaubte Kopie? Was ist dagegen nicht mehr erlaubt? Das ist dann nur im Einzelfall zu klären, aber generell ist man davor geschützt, dass das eigene Gesicht und die eigene Stimme zweckentfremdet werden.
Eine interessante Frage wird sein, wie es sich mit „erlaubten” Kopien entwickeln wird. Zum Beispiel, wenn eine Produktionsfirma sich vertraglich zusichern lässt, dass sie in Zukunft eine*n bestimmte*n Schauspieler*in in einer bestimmten Rolle KI-generiert weiterspielen und -leben lassen darf. Solche Beispiele gibt es ja bereits. In Zukunft wird das kein kostspieliger Gimmick mehr sein, sondern könnte schnell Realität werden.
Wie können wir uns darauf vorbereiten und wie können die Verbände die Kreativen dabei am besten unterstützen?
Die KI braucht einen Rechtsrahmen, der nicht nur wenige Großkonzerne begünstigt, sondern einen fairen Interessenausgleich zwischen allen Beteiligten ermöglicht. Und natürlich braucht es einen Schutz vor Missbrauch und den möglichen negativen Auswirkungen der KI. Wir müssen alle geschlossen an die Politik herantreten und die Probleme benennen. Das muss in Berlin, aber auch in Brüssel passieren. Idealerweise sollten wir auch versuchen, die amerikanischen Kolleg*innen mit ins Boot zu holen.
Es wird größte Widerstände seitens der Industrie geben, die die KI natürlich in allen Bereichen weiter kostenfrei aufbauen möchte. Aber das darf uns nicht abschrecken. Bei den Novellen des Urheberrechts in Digitalzeiten war das in der Vergangenheit ähnlich. Aber am Ende haben wir es geschafft, Politik und Gesellschaft für unsere Probleme zu sensibilisieren und das Recht in unserem Sinne zu beeinflussen. Ich bin mir sicher, das wird uns auch jetzt gelingen, auch wenn es ein ganz dickes Brett ist, das wir da bohren müssen.
Vielen Dank für das tolle Gespräch, lieber Jochen.