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ILONA BROKOWSKI: Liebe Gesine, was hat den Anstoß für diese Initiative gegeben? Gab es einen konkreten Anlass oder war es der berühmte „letzte Tropfen“, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat?
GESINE CUKROWSKI: Silke Burmester, von der Internetplattform Palais-Fluxx, hatte letztes Jahr einen tollen Artikel auf ZEIT ONLINE veröffentlicht, „Wir wollen mitspielen“. Es ging um Altersdiskriminierung von Frauen in Film und Fernsehen. Im letzten Absatz schrieb sie in etwa, wenn wir Frauen das nicht selbst in die Hand nehmen, macht es niemand für uns, dann wird sich nie etwas ändern. Das war die Initialzündung. Ich habe Kontakt zu Silke aufgenommen und es war uns relativ schnell klar, dass wir eine Kampagne entwickeln wollen. Viele Frauen vor uns haben sich mit diesem Thema schon intensiv auseinandergesetzt. Wenn eine neue Studie herauskam, gab es eine kurze Aufmerksamkeitsspanne und spätestens nach zwei Wochen ebbte das Interesse wieder ab und es gab unbefriedigend wenig Veränderungen.

Wieso werden deiner Meinung nach Männer auch noch mit über 50 im Fernsehen als Helden, als stark und begehrenswert dargestellt, Frauen aber eigentlich nie?
Es gibt zahlreiche Gründe. Vieles liegt aber leider auch einfach nur daran, dass es immer schon so war. Veränderung ist kompliziert und Strukturen zu verändern, ist noch komplizierter. Es gibt immer noch viel zu wenig Frauen, die im Vorfeld an kreativen Prozessen beteiligt sind. Eine Studie von Belinde Ruth Stieve, die im letzten Mai veröffentlicht wurde, zeigt, dass in den Jahren 2017 bis 2021 Frauen in allen untersuchten Drehbuch-Bereichen deutlich unterrepräsentiert waren. An den wirklich entscheidenden Positionen sitzen auch nach wie vor Männer, die z. B. behaupten, Frauen 47+ wollen keine Frauen 47+ sehen. Was nicht nur ich persönlich für absoluten Blödsinn halte. Davon abgesehen sind wir alle mit diesem patriarchalen Blick aufgewachsen. Frau sein allein bedeutet nicht automatisch frei vom malegaze zu sein. Interessante Geschichten über ältere Frauen – und hier meinen wir explizit nicht nur Frauen Mitte 50, sondern auch Mitte 60 oder 70 – sollten aber natürlich auch von Männern geschrieben werden können und dürfen. Es kommt uns auf die Geschichten an, es geht um Sichtbarkeit, nicht um Ab- oder Ausgrenzung.

Ein anderer Grund ist eher psychologischer Natur: Frauen nach dem Klimakterium werden nicht mehr mit Fruchtbarkeit und Lust in Verbindung gebracht. Sie sind evolutionär gesehen „nutzlos“ geworden. Nun werden wir aber alle immer älter, bleiben immer länger fit und haben natürlich keine gesonderte Lust, als quasi verblühte Wesen, die nur noch ihren eigenen Verfall entgegensehen, aussortiert zu werden. Die Lebenswirklichkeit von uns Frauen ist so viel weiter und spannender, als es uns Film und Fernsehen immer noch weismachen wollen. Statt sie mit ihrer Vielfalt, Erfahrung, Reife und Lebensklugheit verschwinden zu lassen, sollte man dieses Pfund nutzen. Es ist für junge Menschen äußerst wichtig, Vorbilder zu haben. Wenn ich tolle ältere Frauen sehe, gibt mir das eine Perspektive.

Hast du eine Idee, wie man das ändern könnte? Wie können wir die Frauen bzw. deren so unterschiedlichen und spannenden Geschichten zeigen?

Interessante Geschichten über ältere Frauen – und hier meinen wir explizit nicht nur Frauen Mitte 50, sondern auch Mitte 60 oder 70 – sollten aber natürlich auch von Männern geschrieben werden können und dürfen. Es kommt uns auf die Geschichten an, es geht um Sichtbarkeit, nicht um Ab- oder Ausgrenzung.

21 Millionen Frauen in Deutschland sind über 47 Jahre alt, das ist ein Viertel der Gesellschaft. Es ist dringend notwendig, endlich allen ins Bewusstsein zu bringen, dass wir keine gesellschaftliche Randgruppe sind, die man einfach mal so ignorieren oder über Jahrzehnte hinweg mit stereotypen und längst überkommenen Erzählstrukturen abspeisen kann. Wenn Figuren erzählt werden, muss man endlich hinterfragen, ob man hier Stereotype reproduziert und ob das, was hier erzählt werden will, mit der Realität übereinstimmt. Frauen über 50 sind beispielsweise sexuell genauso unterwegs wie Männer in dem Alter. Sie haben Partner, die gleich alt oder jünger sind. In Film- und Fernsehen wird das Modell vom 15 bis 20 Jahre älteren männlichen love interest immer noch als Regel verkauft. Das wirkt übrigens vor allem bei der jungen Generation äußerst befremdlich.

Ab etwa 60 findet die Frau in zu vielen Fällen nur noch als sorgende Oma statt, oder, wenn sie erfolgreich ist, als unangenehme Gegenspielerin. Ausnahmen sind hier die wenigen, zumeist einsamen Kommissarinnen, mit deren angeblichen Rollenvorbildern wir auf Nachfrage von den Sendern abgespeist werden, die hier als Vertreterinnen für uns reifes Viertel der Gesellschaft herhalten sollen. Gerade wenn man, wie derzeit offensiv versucht wird, junge Menschen als kommende Zuschauergeneration heranlocken möchte, sollte man sich an der realen Gesellschaft orientieren und nicht aus Angst vor Veränderung bloß alle Klischees weiter so bedienen, wie sie immer waren.

Ein weiterer Punkt: Die sogenannte werberelevante Zielgruppe muss dringend der Realität angepasst werden. Ausgerechnet RTL, die Begründer dieser Altersunterteilungen, hat diese übrigens inzwischen auf 14 bis 59 hochgestuft. Die öffentlich-rechtlichen Sender dürften sich eigentlich gar nicht darauf berufen, dennoch gelten Filme in der werbefreien(!) Primetime trotz höherer Gesamtzuschauerzahl als Flop, wenn der Marktanteil der 14- bis 49-Jährigen zu niedrig ist. Dabei ist das gar nicht das zugrunde liegende Geschäftsmodell des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das sich nur äußerst marginal aus Werbeeinnahmen finanziert. Zudem leugnet es konsequent die Bevölkerungsentwicklung. Schließlich sind die über 50-Jährigen nicht nur die wohl kaufkräftigste Bevölkerungsgruppe, sondern auch zahlenmäßig bald die größte. Und die zahlt nun mal den Löwenanteil der Rundfunkgebühren. Der Medienstaatsvertrag sieht im Übrigen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen unmissverständlich vor, unsere Gesellschaft ausgeglichen anzusprechen und abzubilden.

Zudem würde schon sehr viel ändern, wenn die Frauenfiguren in Drehbüchern, in denen Geschichten über Frauen 47+ erzählt werden, nicht konstant zehn bis 15 Jahre runtergeschrieben werden müssen, was momentan leider noch die Regel ist, da das Publikum, wie es senderseits immer wieder gebetsmühlenartig behauptet wird, schließlich keine weibliche Hauptfigur dieses Alters sehen möchte. Wir müssen also dringend ins Gespräch kommen. Mit Netflix und der ARD-DEGETO sind bereits Termine vereinbart worden, das lässt hoffen. Allerdings sind wir ja auch nicht die Ersten, die hier ansetzen. Die Frage wird sein, warum diese Veränderung so schwerfällig läuft.

Wie viele Kolleginnen unterstützen diese Initiative inzwischen?
Das sind sehr, sehr viele, was mich riesig freut. Uns unterstützen aber nicht nur Kolleginnen und Kollegen, sondern vor allem auch die Zuschauer*innen, um die es uns ja eigentlich geht.

Habt ihr konkrete Aktionen geplant? Bzw. was macht ihr, um eurem Anliegen Gehör zu verschaffen?
Durch die Aufmerksamkeit, die unsere Kampagne gewonnen hat, haben wir das Glück, in Talkshows, Interviews und auf Panels weiter auf das Thema aufmerksam machen zu können. Auf der Webseite von Palais-Fluxx gibt es eine Kampagnenseite. Dort kann man Mitunterzeichner*in werden, Texte schicken, auf dem Link „Medienecho“ verpasste Artikel oder Sendungen nachschauen, oder mithilfe eines Zuschauer*innenbrief-Baukastensystems E-Mails oder Briefe an die Sender schreiben. Es gibt noch ein paar schöne Aktionen, aber die leben von dem Überraschungsmoment. Man darf also gespannt sein.

Auch der BFFS bzw. die Vorsitzende des BFFS, Leslie Malton und Vorstandsmitglied Katharina Abt unterstützen die Initiative. Was können die Zuschauer*innen tun, wie können sie diese Aktion unterstützen?
Wir freuen uns über jede Unterstützer*in. Mit zu unterzeichnen, setzt ein Zeichen. Einen Zuschauer*innenbrief an die Sender zu schreiben, ist auch sehr effektiv. Schreibt uns, was ihr euch wünscht. Auf Instagram veröffentlichen wir nach Absprache Zitate von Wünschen der Zuschauer*innen.

Jetzt eine berühmte Frage: Was würdest du dir wünschen?
Dass wir in ein Gespräch auf Augenhöhe kommen. Mit den Verantwortlichen für dieses unbefriedigende Bild, das es von Frauen jenseits der 50 in der Fiktion gibt.

Liebe Gesine, ich danke dir für das Gespräch!

GESINE CUKROWSKI
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