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Der König der Menge“ – so wurde er oft genannt. Uwe war jemand, der anderen half, sie an die Hand nahm, ihnen zeigte, wie man es macht oder sogar ganze Sprechchöre im Ensemble beim Synchron anleitete. Letzteres war nur einer der Gründe, derentwegen ihn viele in Kinofilmen, aber auch sonst gerne im Synchronensemble dabei hatten. Er drückte sich vor keiner Aufgabe und saß niemals hinten auf der Bank, während sich vorne am Mikro die anderen die Seele aus dem Hals schrien, um eine Massenpanik nachzuvertonen.

Und er war wandelbar. Man konnte ihn innerhalb einer Produktion auf viele kleine Rollen besetzen, ohne dass auffiel, dass da manchmal sogar jemand mit sich selber spricht. Aber auch außerhalb des Ensembles war und ist Uwe auf vielen kleinen und größeren Rollen zu hören. Ursprünglich wollte Uwe Matrose werden. Da ihm das aber als systemkritischem Bürger der DDR verwehrt blieb, begann er als Binnenschiffer zu arbeiten. Auch da konnte er so manches Abenteuer erleben, wie zum Beispiel, als er auf einem Lastkahn bei Sturm den Greifswalder Bodden überquerte. Lastkähne sind dafür eigentlich nicht gebaut und die ganze Mannschaft war am Ende froh, den rettenden Hafen erreicht zu haben.

Mit 20 ging Uwe dann als Bühnenarbeiter ans Theater in Gera. Er hatte sich entschieden, Bühnenbildner zu werden. Als sich ihm ein paar Jahre später die Gelegenheit bot, die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin zu machen, sprang er ins kalte Wasser und nahm teil. Zu seiner großen Überraschung bestand er die Prüfung und absolvierte dort von 1977 bis 1980 sein Schauspielstudium. Danach ging er ans Theater in Schwedt, wo er aber beruflich nicht glücklich war. Im Anschluss ergaben sich Möglichkeiten, kleine und größere Rollen in Filmen zu übernehmen. Damit konnte er wunderbar seinen Lebensunterhalt verdienen, ohne sich fest binden zu müssen. Und nebenher konnte er noch anderen Interessen nachgehen. Er sang unter anderem in einer Punkband und schraubte an alten Motorrädern herum.

Aber das Leben in der DDR ging ihm zunehmend auf den Zeiger. Er wollte mehr von der Welt sehen und auch seine Meinung frei äußern können. Also stellte er einen Ausreiseantrag. Und tatsächlich durfte er Ostberlin mit seiner Familie „schon“ ungefähr sechs Jahre später über den Tränenpalast verlassen.

Gleich zu Beginn im Westen bekam Uwe die Chance, beim Synchron zu arbeiten, wo er sich von Anfang an großer Beliebtheit erfreute. Und auch bei vielen Filmproduktionen durfte er mitwirken. Nebenher machte er seinen Jagdschein und ging dieser Passion mit großem Ernst nach. So war er vielen ein beständiger Garant für edles Wildfleisch von glücklichen Tieren. Er konnte mit den Produkten der Natur, aber auch in der Küche gut umgehen und zauberte die köstlichsten Mahlzeiten auf den Tisch. Davon durften wir in unserer gemeinsamen Zeit in Zehlendorf und bei unseren vielen gemeinsamen Festen immer wieder profitieren.

Leider verlor Uwe 2020 durch einen Unfall nach und nach seinen Geruchs- und Geschmackssinn, was für einen Genießer wie ihn furchtbar war. Einmal sagte er mir: „Am Anfang dachte ich, ein Bein ab, wäre schlimmer. Aber jetzt hätte ich lieber ein Bein ab.“ Und dann erhielt er im Herbst 2021 auch noch die Diagnose Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium. So wie Uwe war, fing er natürlich sofort an, die jüngeren Kollegen zur Seite zu nehmen und ihnen einzubläuen, rechtzeitig zur Vorsorge zu gehen. Denn so war Uwe. Er hat an seine Mitmenschen gedacht. Er hat immer gerne gegeben und nie jemandem etwas weggenommen.

Jetzt ist er am 17.03.2023 für immer verstummt.

Für mich allerdings wird er immer irgendwie da sein.

Der König ist tot – es lebe der König!

BERNHARD VÖLGER
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