Seite wählen

In der letzten Ausgabe wurde die Einführung von KI bei der Filmsynchronisation eher als künstliches(!) Schreckensgespenst denn als realistische, in Kürze zu erwartende Praxis beschrieben. Und es wäre in erster Linie Aufgabe für die Gegenwart, sich für einen respektablen (und respektierten) Tarifvertrag, angemessene Gagen, bessere Arbeitsbedingungen und gerechte Folgevergütungen zu engagieren. Für viele Kolleg*innen scheint die Bedrohung, schon in naher Zukunft durch KI-basierte Systeme arbeitslos zu werden, jedoch schon vor der Tür zu stehen. Andernfalls wäre das Thema nicht so häufig in den entsprechenden Foren und beim Synchron-Stammtisch angesprochen worden.

Wenn aber über etwas häufig geredet wird, muss das noch nicht unbedingt heißen, dass es tatsächlich relevant ist. Man könnte ebenso annehmen, dass es sich dabei um eine sogenannte Nebelkerze handelt, die vom eigentlichen Geschehen ablenken soll. Die landläufige, sprich: landwirtschaftliche Version dieser These heißt: Es wird wieder mal eine neue Sau durchs Dorf getrieben – zu welchem Zweck auch immer. Es ist vielleicht kein Zufall, dass diese Diskussion erst an Fahrt aufgenommen hat, seit die immer wieder vertagten Tarifverhandlungen zwischen den Verbänden in greifbare Nähe gerückt sind.

Obwohl Künstliche Intelligenz in immer mehr Bereichen, beispielsweise der Arbeit, eine Rolle spielt,
ist es doch andererseits erstaunlich und nicht zu übersehen, dass trotz alternativer Möglichkeiten viele Tätigkeiten, für die KI-basierte Varianten existieren, immer noch von Menschen gemacht werden.

Und dabei ist es kein Zufall, dass diese Tätigkeiten nicht nur meist schlecht bezahlt, sondern auch oft genug anstrengend, schmutzig, gesundheitsschädlich und gefährlich sind. Es scheint zum Beispiel im Gesundheitswesen immer noch „günstiger“ zu sein, menschliche Pflegekräfte statt Pflege-Roboter einzusetzen. Dort, wo der Einsatz von Menschen billiger ist als die Investition in Maschinen, bleiben immer noch genug (prekäre) Arbeitsplätze erhalten.

Wer sollte sonst z. B. „unsere“ Nahrungsmittel (Gemüse, Obst, Kakao, Tee, Kaffee u. v. a. m.) ernten, Rohstoffe abbauen oder die Reste unseres technischen Fortschritts (Handys und anderen Elektroschrott) recyceln?

Soll das im Umkehrschluss heißen: Wenn wir nur lange genug mit unseren Gagen und Gehältern preisgünstig bleiben,  können wir den drohenden Schatten der Sprach-KI vertreiben und uns durch Lohnverzicht quasi „freikaufen“? Das wäre zwar irgendwie logisch, ist aber bei kritischer Betrachtung kein guter Deal. Die Strategie, mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen durch Rationalisierung zu drohen, ist ein ziemlich alter Hut. Sie zu ignorieren oder gar zu unterschätzen, wäre sicher ein Fehler. Aber hier vorschnell klein beizugeben, ist keine Option für kommende Verhandlungen. Für die brauchen wir Mut, Engagement und Intelligenz – menschliche wohlgemerkt.

* siehe SCHAUSPIEGEL Nr. 13 (Winter 2022/2023)

Stefan Krause
+ posts

Synchronisiert schon seit analogen Zeiten in Hamburg, München und (hauptsächlich) Berlin. Er ist seit Anbeginn Mitglied des IVS und der Gewerkschaft ver.di, seit 2007 in der Redaktion der UNSYNCBAR und seit 2019 in der SCHAUSPIEGEL-Redaktion.
Er lebt, liest und arbeitet autolos & mobil in Berlin-Kreuzberg.