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Es ist so eine Sache mit der Demokratie: Was als demokratisch oder undemokratisch definiert wird, ist von Land zu Land verschieden. Deshalb ist es auch – je nach politischer Einstellung – unterschiedlich, wie beispielsweise Wahlergebnisse bei uns und woanders eingeschätzt werden. Eine geringe Wahlbeteiligung ist zwar selten etwas besonders Positives, aber steht (vorsichtshalber?) meist eher im Hintergrund, solange es trotzdem eindeutige Mehrheiten gibt. Ausnahmen sind Wahlen, bei denen man eine auffallend niedrige Wahlbeteiligung als gezieltes Mittel des politischen Kampfes durch Boykott betrachtet. Dagegen werden Ergebnisse, die nur kurz unter 100 Prozent liegen, von vornherein eher als unrealistisch oder gar manipuliert betrachtet.

Im Jahr 2021 wurde am Tag der Wahlen in Berlin auch über das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen!“ abgestimmt. Bei einer Wahlbeteiligung von 73 Prozent stimmten zwar 58 Prozent dafür, aber dieses klare Ergebnis verschwand erstaunlich schnell in Kommissionen und Ausschüssen, und bis heute folgte in der Praxis … nichts. Daraus und vielen anderen Beispielen könnte man den (zugegeben etwas sarkastischen) Satz formulieren: Demokratie ist das, was am Ende daraus gemacht wird. Das Gleiche gilt natürlich auch für die im Vorfeld von Wahlen gemachten sogenannten Wahlversprechen, auf deren Erfüllung hinterher oft vergeblich gewartet wird.

Der neue Vorstand des BFFS ist mit fast 95 Prozent der Stimmen gewählt worden. Das hört sich erst einmal gut an – und ist es auch! Gewählt haben aber nur knapp 29 Prozent unserer Mitglieder, das sind weniger als ein Drittel. Das klingt dann schon gleich etwas weniger gut. An dieser Stelle könnte man schlagfertig die berüchtigte (Politiker*innen-) Aus- sage bemühen: „Ja, das ist richtig. Da ist noch eine Menge Luft nach oben.“ Das heißt, realistisch übersetzt: „Wir wissen nicht, warum so viele Menschen nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, aber wenigstens geben sie dieses Recht freiwillig und nicht unter Zwang auf. Und das ist doch auch irgendwie … Demokratie!“

Aber haben wir nicht mal im Sozialkunde-Unter- richt gelernt, dass das Ideal eine freiwillige, hundertprozentige Beteiligung an den demokratischen Prozessen wäre? Schwamm drüber.

Wenn der BFFS auch als größter Berufsverband für Schauspieler*innen gilt, organisiert er jedoch tatsächlich nicht alle von ihnen. Auch da ist noch reichlich „Luft nach oben“. Ginge es allein nach dem Mitgliederzuwachs, könnten wir uns über steigende Zahlen freuen – und es dabei belassen. Aber ein starker Verband braucht mehr als pünktliche Beitragszahler*innen, die von Zeit zu Zeit die Service- und Beratungsangebote nutzen.

Enthusiasmus, Engagement und nicht zuletzt „Beteiligung an demokratischen Prozessen“, hier ganz schlicht Wahlen genannt, machen den Unterschied zu Organisationen, die auf aktive Mitglieder von vornherein verzichten. Das können wir uns jedoch nicht leisten. Erfolg bei der Motivationsarbeit („Runter von der Couch!“) verspricht auf alle Fälle die Vermeidung „heißer Luft“. Die wird nämlich schon in genügender Menge von der Konkurrenz erzeugt.

Stefan Krause
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Synchronisiert schon seit analogen Zeiten in Hamburg, München und (hauptsächlich) Berlin. Er ist seit Anbeginn Mitglied des IVS und der Gewerkschaft ver.di, seit 2007 in der Redaktion der UNSYNCBAR und seit 2019 in der SCHAUSPIEGEL-Redaktion.
Er lebt, liest und arbeitet autolos & mobil in Berlin-Kreuzberg.