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Vor circa zehn Jahren saß ich während einer Studienreise mit der Schauspielklasse nackt auf einem Kompost und wurde von meinen Mitschüler*innen gezeichnet. Eine Mitschülerin sagte danach zu mir, ich hätte wie ein satter Kürbis ausgesehen. Schon damals war ich einige Jahre älter als meine Mitschüler*innen. Wo ich sehr bewusst behaart geblieben war, glänzte bei ihnen nackte Haut. Heute ist Körperbehaarung bei Frauen wie der en vogue. Frauen verwerfen unterdrückerische Schönheitsideale bei gleichzeitiger Inszenierung ihrer Weiblichkeit, z. B. mit fancy Nageldesign. Der neue Feminismus blüht. Tatsächlich betrifft das aber eher die Coming-of-Age Frauen.

Und was ist mit mir, was ist mit uns, den älteren Frauen?

In diesem Jahr bin ich 40 geworden. Ich verdaue nicht nur den Abschied vom Muttersein und einem agilen Stoffwechsel, auch meine Bedeutung in der Schauspielwelt schwindet mit meinen Lebensjahren. Zumindest was die Vielfalt der Rollenangebote für mich als Ü40-Frau betrifft. Die Zersetzung von Möglichkeiten führt zu einer Bodenverarmung.

Ist die Karriere für den Müll, sowie die biologische Uhr voranschreitet?

Verpassen wir etwas kulturell, wenn die Schönheit der alten Sorten achtlos auf dem Kompost landet? In den folgenden drei Ausgaben werde ich wieder zu Wort kommen. Ich werde über die weiterhin existierende Altersdiskriminierung von Frauen sprechen und dazu befreundete Kolleg*innen befragen. Ich werde der weiterhin existierenden Film/Fernseh-Monokultur von „hübsch und schlank sein” mit dem Spaten begegnen. Und ich werde ausbuddeln, was ich ungern glauben mag. Nämlich: wie viel Anteil habe ich selbst daran? Nicht, weil es um eine Schuldfrage geht. Sondern, weil ich verstehen und ändern möchte, was meine Biografie als Prägung hinterlassen hat. Die Überzeugung, wie Pretty Woman von einem Prinzen (betagt und wohlhabend) errettet werden zu müssen, folglich Wertigkeit zu erlangen und, dass für das Gelingen dieses Märchens die gesamte Verantwortung allein bei mir und meinen schönen langen Haaren liegt. Es ist mir außerdem wichtig, über unsere Landesgrenzen hinauszublicken. Aktuell wüten Unruhen im Iran, wo Menschen für „Frauen, Leben, Freiheit” mutig auf die Straße gehen. Auch nach #metoo, nach diversen Impulsen aus der Film- und Theaterbranche, die für Zahlung medial laut wurden, ist das unermüdliche Umgraben im globalen Komposthaufen notwendig, damit Vielfalt nicht verloren geht.

 

 

JOHANNA SARAH SCHMIDT
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