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FAROUK EL-KHALILI: Wann hast du mit dem Synchronsprechen angefangen?
ILONA BROKOWSKI: Ich habe mit 14 Jahren meine ersten zwei, drei Takes gesprochen. Das war für „Saved by the bell“. In Deutschland wurde das unter dem Titel „California High School“ ausgestrahlt. Das waren Ensembletexte. Also Jubeln und Anwesenheit im Hintergrund.

War es schwer als Quereinsteigerin?
Da ich noch relativ jung war, nicht. Mit 14 Jahren gab es zwar andere Jugendliche, die schon mehr Erfahrung hatten als ich, aber es gibt keine Schauspieler*innen, die in diesem Alter eine abgeschlossene Ausbildung haben. Und in der Branche gibt es einen nicht unerheblichen Anteil von Kolleg*innen, die als sogenannte Synchronkinder angefangen haben. Und viele von ihnen arbeiten immer noch als Synchronschauspieler*innen oder Autor*innen oder auch in der Regie. Das ist dann quasi auch eine Ausbildung, „learning by doing”. Später, als ich erwachsen war, gab es mal ein paar Situationen, in denen ich darauf angesprochen wurde, ob ich ausgebildete Schauspielerin sei, und es fiel auch mal der Spruch, dass ich für eine Synchronschauspielerin ohne Ausbildung das ziemlich gut machen würde, aber in der Regel interessiert das keinen. Vor allem, wenn man fast 30 Jahre dabei ist. (grinst)

Aber als Neueinsteiger*in ist es, denke ich, schon schwer. Man lernt nur durch Übung und wird daher seltener besetzt, wenn man noch nicht so gut oder so schnell arbeitet. Man wird aber nicht besser, wenn man nicht besetzt wird.

Welches war bis dato deine herausforderndste Rolle, die du gespielt hast und weshalb war genau diese herausfordernd?
Das finde ich schwer zu sagen. Es waren schon so einige … Weil ich es aber gerade neulich wieder geguckt habe – die Rolle der Mary Sibley in der Serie „Salem“: Schreien, Weinen, wilde Atmer, leise und laute Töne, fies und liebevoll, verzweifelt und bösartig – bei dieser Rolle musste, konnte, durfte ich das gesamte Spektrum abdecken. Das hat Spaß gemacht, war aber auch anstrengend. Generell finde ich solche Rollen, die nicht schwarz-weiß sind, am spannendsten und herausforderndsten. Hier muss man immer aufpassen, wann wechselt sie vom liebevollen, guten Ton ins Böse. Aber dafür gibt es ja zum Glück die Regie. (lacht)

War es aufregend, als du das erste Mal synchronisiert hast?
Total. Am Anfang weiß man ja gar nicht, wie das geht, worauf man achten muss, wie das mit dem Einsatz funktioniert, was „auf vier” bedeutet, dass man nicht klatschen oder andere Geräusche machen darf. Das habe ich nach und nach von den Kolleg*innen gelernt. Ich habe anfangs viel Kindermenge gemacht, also Hintergrundtexte und -reaktionen mit Gleichaltrigen und wurde aber teilweise auch als jüngere Stimme bei Erwachsenen-Ensembles dazu bestellt. Ich hatte so die Gelegenheit, von vielen unterschiedlichen Kolleg*innen zu lernen. Ich habe ihnen zugesehen und oft haben sie mir auch wertvolle Tipps gegeben.

Wie siehst du die Synchronbranche heute? Gibt es Nachholbedarf in der Möglichkeit, besser sozialversichert angestellt zu werden?
Puh, ich liebe die Synchronbranche. Sonst würde ich nicht immer noch hier arbeiten. Die höchstrichterliche Festlegung der Unständigkeit war auf jeden Fall ein wichtiger Meilenstein, den wir ohne IVS und die klagenden Kolleg*innen nicht erreicht hätten. Dadurch sind wir in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung gesetzlich versichert und abgesichert. Wo es in meinen Augen Nachholbedarf gibt, ist die Absicherung im Krankheitsfall. Da wir nicht festangestellt sind, zahlt uns niemand – auch nicht die gesetzliche Krankenversicherung – den Verdienstausfall, wenn wir mal ein oder sogar zwei Wochen krank sind. Für längere Krankheitsverläufe gibt es die Krankentagegeldversicherung auch bei den gesetzlichen Krankenversicherungen, aber die muss man auch zusätzlich zahlen. Und im Normalfall greift die ja bei einer Erkältung, Grippe oder so eh nicht.

Wie bewertest du das Thema Arbeitslosenversicherung in der Synchronbranche und wie sähe eine Umsetzungsreform aus deiner Sicht aus (rein spekulativ)?
Da wir als unständig Beschäftigte keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung zahlen, haben wir im Fall von Arbeitslosigkeit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, sondern würden Hartz IV bzw. zukünftig Bürgergeld erhalten. Ich finde die Umsetzung in unserer Branche aber auch prinzipiell schwierig, weil man je nach Auftragslage mehrere Wochen keine Aufträge haben kann, also durchaus auch wochenlang arbeitslos sein kann. Wenn man sich dann aber arbeitslos meldet, und ich habe keine Ahnung, wie lange die Bearbeitung dauert und so weiter, innerhalb kurzer Zeit, also von heute auf morgen, kann man plötzlich wieder Aufträge haben. Also wie gesagt: Die Umsetzung finde ich schwierig. Andererseits ist es natürlich auch wichtig, dass man im Fall von unverschuldeter Arbeitslosigkeit abgesichert ist. Allerdings habe ich dafür keine praktikablen Vorschläge.

Generell finde ich solche Rollen, die nicht schwarz-weiß sind, am spannendsten und herausforderndsten. Hier muss man immer aufpassen, wann wechselt sie vom liebevollen, guten Ton ins Böse.
Die höchstrichterliche Festlegung der Unständigkeit war auf jeden Fall ein wichtiger Meilenstein, den wir ohne IVS und die klagenden Kolleg*innen nicht erreicht hätten.

Gibt es Mutterschutz-Urlaub in der Synchronbranche?
Klar. Dadurch, dass wir sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, besteht auch ein gesetzlicher Anspruch auf Mutterschutz. Ich glaube, früher wurde da öfter mal ein Auge zugedrückt, heute achten die Firmen schon sehr darauf, dass man innerhalb der Mutterschutzfristen nicht arbeitet. Bezahlt wurde das Mutterschutzgeld bei mir – anders als bei festangestellten Arbeitnehmer*innen – von der Elterngeldstelle. Jedenfalls war das bei mir 2007 und 2009 so, weil ich da noch privat versichert war. Ich weiß gar nicht, ob das jetzt von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen wird? Generell hat das Elterngeld auch von den freiberuflichen Müttern bzw. Eltern viel von dem finanziellen Druck genommen, finde ich.

Hast du einen Unterschied bemerkt, wie dir Jobs angeboten wurden, vor der Schwangerschaft, während und nach der Schwangerschaft?
Es war sicher von Vorteil, dass ich zu der Zeit, als ich schwanger war, feste Serienrollen hatte. Die wurden dann so geplant, dass sie vor bzw. nach dem Mutterschutz aufgenommen wurden und es wurden auch Stillpausen disponiert bzw. wenn ich nur für zwei Stunden arbeiten konnte, wurde das auch berücksichtigt. Das ist heutzutage leider oft nicht mehr so. Ich habe schon häufig gehört, dass Kolleg*innen umbesetzt wurden, weil sie im Mutterschutz bzw. in der Elternzeit waren, die Serie aber weiter aufgenommen werden musste. Das ist dem großen Druck durch Streamingdienste und der generellen Schnelllebigkeit der Branche geschuldet. Das finde ich echt ausgesprochen schade. Und auch etwas respektlos gegenüber den Müttern.
Generell arbeite ich, seitdem ich Kinder habe, weniger, also selten abends und so gut wie nie am Wochenende. Dadurch habe ich auch etwas weniger zu tun, aber das wollte und will ich ja auch so. Gut ist, dass ich vor allem als meine Kinder klein waren, ganz gut um die Dienste meines Mannes herumplanen konnte. Also wenn er freihatte, konnte ich den ganzen Tag arbeiten, wenn er Dienst hatte, hab ich den Nachmittag gesperrt und konnte mich so um die Kinder kümmern. Da ist die Synchronbranche sehr flexibel.

Was würdest du jungen Synchronschauspieler*innen für Tipps weitergeben?
Ich würde generell allen Anfänger*innen raten, sich bei erfahrenen Kolleg*innen zu informieren und – wenn möglich – sie bei Aufnahmen zusehen lassen. Dadurch lernt man unglaublich viel. Als ich als Jugendliche erfahrenen Kolleg*innen zugesehen habe, dachte ich anfangs, die können zaubern. Wenn sie beispielsweise gemerkt haben, dass sie zu schnell gesprochen bzw. zu wenig Text haben, haben sie einfach noch intuitiv ein bis zwei Worte angehangen und plötzlich sah es synchron aus. (lacht) Das waren oft keine sinnvollen Ergänzungen, aber allein dass sie das Gefühl für Rhythmus und Länge der Texte hatten, hat mich total beeindruckt. Und tatsächlich ist es keine Zauberei, denn ich kann das jetzt auch. Es ist vor allem Übung und Erfahrung.

Was ich jüngeren oder Brancheneinsteiger*innen noch raten würde, ist ein gewisses Maß an Demut. Man kann am Anfang nicht sofort alles und das ist auch gar nicht schlimm. Aber man sollte dann auch gewillt sein, an sich zu arbeiten und Feedback und Kritik anzunehmen und umzusetzen.

Außerdem habe ich selber vor ungefähr zwölf Jahren angefangen, Synchron-Dialogbücher zu schreiben, und vor einigen Jahren habe ich auch mit der Synchronregie angefangen. Die andere Seite zu kennen und zu verstehen, hat mir ebenfalls wahnsinnig als Synchronschauspielerin geholfen. Sich also auch mal mit in die Regie zu setzen oder jemandem beim Schreiben über die Schulter zu gucken, kann nicht schaden. Einfach fragen. Viele Kolleg*innen haben nichts dagegen bzw. freuen sich sogar sehr, wenn man sich dazusetzen und lernen will.

Frauen speziell würde ich raten, sich nicht unter Wert zu verkaufen, denn ich glaube, dass Kolleginnen immer noch eine geringere Gage abrufen als unsere männlichen Kollegen. Zumindest durchschnittlich. Und man muss nicht alles für Geld machen und auch nicht immer verfügbar sein. Familie, Feierabend usw. sind auch wichtig.

Wie sieht für dich die Zukunft der Synchronbranche aus?
Über der Branche hängt das Damokles-Schwert der Künstlichen Intelligenz und die Prognose, dass Synchronschauspieler*innen irgendwann durch KI ersetzt werden. Bis es so weit ist, sollten wir unsere Gagen auf einem angemessenen Niveau tariflich festlegen, Arbeitsbedingungen und was mit unseren Stimmen gemacht werden darf und was nicht so weit wie möglich tariflich regeln. Darum kümmert sich der BFFS, aber wir alle können und sollten ihn dabei unterstützen.
Allerdings gehe ich fest davon aus, dass sich deshalb die Synchronbranche nicht auflösen wird, sondern die Tätigkeitsfelder werden sich ändern bzw. erweitern. Wir Menschen sind ja zum Glück anpassungsfähig.

Vielen Dank für das sehr interessante Gespräch, liebe Ilona.

ILONA BROKOWSKI
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ist in Berlin geboren, ist Diplom-Psychologin und arbeitet seit 27 Jahren als Synchron- schauspielerin. Seit einigen Jahren ist sie außerdem als Dialogbuchautorin und Synchronregisseurin tätig. Sie hat 2006 die Redaktion der UNSYNCBAR mitgegründet und nach Verschmelzung von IVS und BFFS wurde sie Teil der Redaktion des SCHAUSPIEGELS. Ihr Hauptaugenmerk lag und liegt darauf, die Kommunikation in der Branche

zu verbessern. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.