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Die Generation, die mit dem gesprochenen Wort und der gebundenen Sprache aufgewachsen ist, stirbt aus. Die Abonnent*innen, die so auf Dauer den Theatern die Treue halten, werden die letzten ihrer Art sein und der Zug zur aktuellen Generation ist abgefahren. Viele Theater haben verschlafen, ihre Angebote schon vor Jahren auf aktuelle Entwicklungen anzupassen und als glaubhafte Vertreter der Gesellschaft aufzutreten. Stattdessen klammern sie sich immer noch an die Vergangenheit und den Gedanken der Hochkultur und Exzellenz. Sie vermeiden es, in den Raum vorzudringen, der Risiko, aber Unverzichtbarkeit bedeutet.
Sie spielen allabendlich von ihren Bühnen und feiern sich im Kreise der Exklusivität für ihre Avant- garde oder ihren kritischen Geist. Dabei drücken sie den Gedanken zur Seite, dass der Theaterbetrieb zu den konservativsten unserer Gesellschaft gehört und bei den meisten U40-Jährigen absolut keine Rolle spielt oder nur gelegentlich. Diese Entwicklung bedeutet den schleichenden Tod der Theater. Dieser Gedanke tut weh, aber der Corona-Lockdown hat es glasklar gezeigt. Während sich Theater empört im eigenen Selbstmitleid suhlten, wie wichtig sie sind, wurde weiter Fußball gespielt, weiter eingekauft. Während jedes Kind Serien und Filme rauf und runter guckt, spielt der zweitgrößte Wirtschaftsfaktor Deutschlands, die Kultur, kaum eine Rolle.
Die Theater stellen sich allzu oft intellektuell über die reale Welt und beginnen, für eine Nische der Gesellschaft zu produzieren. Die digitalisierte Welt wird aber eine reale, bedeutsame und live stattfindende Gegenwert brauchen. Menschen werden weiter von Algorithmen ersetzt werden und brauchen einen Nutzen, mit der Zeit etwas anzufangen, die sie dann haben werden. Gerade Menschen, die sich jetzt schon nicht mit sich selbst und den Problemen ihres Lebens beschäftigen wollen, werden umso mehr auf Kunst und Kultur angewiesen sein, um nicht komplett hysterisch, narzisstisch oder psychotisch zu reagieren. Die Begegnung in einem Raum wird Bestandteil einer Erfahrung bleiben, die aufregender und interessanter sein wird, als jedes Videospiel und jeder Film das jemals werden können, weil die Faszination des „im Moment sein“ niemals aufhören wird. Es gibt im menschlichen Körper Muskulatur, die nicht steuerbar für den Menschen ist. Dazu gehört neben dem Herzmuskel auch die glatte Muskulatur der Augen. Unsere Intuition reagiert viel schneller auf äußere Reize als unser Kopf Reaktion steuern könnte. Diese Reize authentisch und wahrhaftig darzustellen, wird die Aufgabe des Raums Theater in einer effizienteren und konfliktvermeidenden Welt sein. Wir müssen aber daran arbeiten, dass die Menschen nicht vergessen, dass es diesen Raum gibt. Denn was vergessen wurde, kommt so schnell nicht wieder.

PAUL MAXIMILIAN PIRA
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